• 19.06.2025
  • Fachbericht

„Die Maschine muss zum Bauteil passen“: Nicht alle Wege führen zum Giga-Casting

Wenn große Strukturteile von Autos in einem einzigen Guss entstehen, wird gerne von einer Revolution gesprochen. In der Tat: Giga-Casting hat das Zeug dazu, Produktionsketten zu verschlanken, Gewicht zu sparen und damit auch CO₂-Emissionen zu senken. Aber ist es der Königsweg für die europäische Gießereiindustrie? Im Podcast Goldcasting, moderiert von Fabian Niklas und Staffan Zetterström, ging es genau darum.

Geschrieben von Editors EUROGUSS 365

Rheocasting Prozess

Zu Gast war Professor Martin Fehlbier, Leiter des Gießereiinstituts der Universität Kassel und Initiator des ersten Internationalen Giga-Casting-Kongresses, der vor einigen Wochen stattgefunden hat. Was folgte, war keine Lobhudelei auf große Maschinen – sondern ein differenziertes Gespräch über Chancen, Risiken und Alternativen. Eine Einladung zum Nachdenken.

Ich denke, es ist ein dramatischer Wandel in der Produktion“, so Martin Fehlbiers Einschätzung zum Giga-Casting. 

Heute können wir Hunderte von Teilen durch ein einziges Bauteil ersetzen – das verändert viel. Aber es ist kein Selbstläufer. Es hängt vom Teil ab, vom Prozess, vom Umfeld. Man muss sich genau fragen: Was ergibt wirtschaftlich und technisch wirklich Sinn?

 

Große Maschinen, große Fragezeichen

Der Markt für große Strukturbauteile wächst rasant – vor allem in Asien. In China werden 8.000- bis 9.000-Tonnen-Maschinen fast im Monatsrhythmus installiert. In Europa hingegen herrscht Vorsicht. Fehlbier erkennt in dieser Zurückhaltung keinen Nachteil, sondern strategische Klugheit: 

Volkswagen zum Beispiel sagt: Die Maschine muss zum Bauteil passen. 4.800 bis 6.000 Tonnen reichen für viele Anwendungen völlig aus. Und große Bauteile lassen sich auch fügen – man muss nicht alles auf einmal gießen.

Niklas und Zetterström machten deutlich, dass sie den Hype ums Giga-Casting mit Skepsis betrachten – nicht wegen des damit verbundenen technischen Fortschritts, sondern wegen der Verengung der Debatte. „Es wird zu viel über Maschinengewichte gesprochen“, so Zetterström, „und zu wenig über Produktivität, Prozessqualität und Alternativen.“ 

Niklas ergänzt: „Die entscheidende Frage ist doch: Wie sieht der Gesamtprozess aus – und was bekomme ich aus der Maschine am Ende tatsächlich heraus?“

 

Jenseits der Gigamaschine: Rheo- und Thixocasting

Besonders interessiert zeigten sich die Podcaster an Verfahren wie Rheocasting und Thixocasting – Technologien, die in Fachkreisen bekannt sind, aber im Schatten der Giga-Casting-Debatte oft übersehen werden.

Auch Fehlbier sieht in diesen Ansätzen großes Potenzial: „Rheocasting ist eine sehr gute Alternative für die Zukunft. Sie können damit dieselben Teile auf 30 bis 40 Prozent kleineren Maschinen produzieren. Das spart Kosten, verringert Werkzeugverschleiß und reduziert Schmelztemperatur sowie Füllgeschwindigkeit. Aber man muss bereit sein, dazuzulernen.

Niklas warnt davor, voreilige Urteile zu fällen: „Wenn man ein neues Verfahren mit alten Werkzeugen testet, funktioniert es eben nicht. Aber das liegt nicht an der Technik – sondern daran, dass man sie nicht richtig vorbereitet hat.“ 

Die Vorteile liegen nach seiner Ansicht auf der Hand: weniger Energie, geringerer Druck, geringere Anforderungen an das Werkzeug. Gerade für mittelständische Gießereien mit begrenzten Investitionsbudgets könnten diese Verfahren eine realistische Alternative zur Gigamaschine sein.

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Das Rheocasting-Verfahren ermöglicht die Verwendung von Metallen im halbfesten Zustand, wodurch Komponenten mit höherer Festigkeit, geringerer Porosität und verbesserter Oberflächenqualität entstehen. Die Nachfrage nach leichten, leistungsstarken und nachhaltigen Komponenten wächst, insbesondere in der Automobil-, Luftfahrt- und E-Mobilitätsindustrie – und genau hier bietet Rheocasting entscheidende Vorteile.

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Zwischen Hightech und Hausverstand

Neben den Gießprozessen standen auch Werkstoffthemen im Fokus. Fehlbier plädiert für gezielte Legierungsentwicklung statt Materialvielfalt: „Wir brauchen nicht tausend verschiedene Legierungen. Eine oder zwei – das wäre optimal für eine Gießerei.

Auch die Prozesskontrolle müsse grundlegend neu gedacht werden. Noch wisse man viel zu wenig über das Verhalten der Schmelze im Werkzeug, so der Wissenschaftler. 

Das ist für viele noch eine Blackbox. Wir brauchen Sensorik, Daten, Modelle – und wir müssen besser verstehen, wie sich Porosität auf die Bauteilfunktion auswirkt.

Ein weiteres Thema: Künstliche Intelligenz. Viel diskutiert – aber noch wenig etabliert.  

Weniger als 10 Prozent der Maschinen können heute wirklich mit KI umgehen“, berichtet Fehlbier. „Aber wir arbeiten mit Partnern wie Bühler daran, die Basis dafür zu schaffen.“ Niklas sieht hier einen Vorteil: „Wo alles digital startet, kann man viel schneller mit KI einsteigen. Es muss nichts nachträglich digitalisiert werden – das ist eine Chance.

Fortschritt braucht Vielfalt – nicht nur Größe

Der Giga-Casting Congress in Kassel war ein Erfolg: 419 Teilnehmer aus 25 Ländern, über 200 Unternehmen, 42 Prozent der Gäste aus dem Ausland. Doch der größte Wert liegt vielleicht nicht in der Zahl der Maschinen oder Nationen – sondern in der Vielfalt der Meinungen. 

Wir sind auf einem guten Weg“, so Fehlbier. „Wir müssen günstiger werden – und besser. Und ich glaube, das schaffen wir.

Was die Diskussion zeigt: Es braucht nicht nur große Maschinen, sondern auch große Offenheit. Nicht jedes Bauteil muss so gegossen werden wie bei Tesla – manchmal reicht auch ein gut geplantes Werkzeug mit einem anderen Verfahren. Die Zukunft des Druckgusses ist nicht eindimensional. Sie ist modular, vernetzt – und vor allem offen für Diskussion.

Die ganze Podcastfolge gibt es hier!

Autor

EUROGUSS 365
Editors EUROGUSS 365
euroguss365@nuernbergmesse.de