Millennials in der Gießerei-Industrie
09.11.2021 Nachwuchskräfte Interview

Millennials in der Gießerei-Industrie

Inmitten des Wandels bleiben die Generationen Y und Z optimistisch und haben sich den Herausforderungen ihrer Zeit gestellt: Eine umweltfreundliche Produktion mit rascher Übernahme in die Wirtschaft wird zum Auftrag der nächsten Generation, die in die Gießereiindustrie eintritt.

Rund ein Drittel der 600 im Bundesverband der Deutschen Gießerei-Industrie zusammengeschlossenen Unternehmen beklagt einen Mangel an Arbeitskräften. Die Branche, in der rund 70.000 Menschen beschäftigt sind, tut sich schwer, mit anderen Wirtschaftszweigen zu konkurrieren, wenn es um die Gewinnung von Nachwuchs geht.

Zwei, die wissen sollten, warum das so ist, sind Marvin Emde und Marius Kohlhepp: Beide haben im vergangenen Jahr den EUROGUSS Talent Award gewonnen, eine Auszeichnung für Bachelor- und Masterabsolventen weltweit, deren Arbeiten zu Innovationen, Verbesserungen oder neuen Anwendungen im Druckguss geführt haben. Emde und Kohlhepp sind die Pioniere einer jungen Generation, die ihre berufliche Chance in der Veränderung einer traditionsreichen Branche sehen. 
 

Bild Marvin Emde Marvin Emde

Marvin Emde

Unter dem Titel "Potenziale für Druckgussbauteile durch Wandstärkenoptimierung" entwickelte Marvin Emde von der Universität Kassel eine Sitzarmlehne als Druckgussbauteil. Mit seinem Bauteil zeigte er, dass dünnwandiger Druckguss in Sachen Leichtbau mit Hochleistungskunststoffen konkurrieren und diese in der Belastbarkeit sogar übertreffen kann. Die Substitution von Kunststoffen durch Druckgussbauteile eröffnet den Gießereien neue Produktfelder.

Bild Marius Kohlhepp Marius Kohlhepp

Marius Kohlhepp

Marius Kohlhepp vom Karlsruher Institut für Technologie zeigte in Zusammenarbeit mit der Audi AG den "Einfluss der Legierungszusammensetzung auf das Formschlussverhalten einer AlSi7Mg-Druckgusslegierung". Er forscht derzeit im Rahmen seiner Promotion an der Entwicklung einer kostengünstigen duktilen Einheitslegierung für hochfeste Aluminium-Strukturgussteile.

 

Die Gießereiindustrie hat Schwierigkeiten, junge Talente zu rekrutieren. Warum ist das so?

Kohlhepp: Ein Branchenfremder würde Gießen nicht als innovatives Thema bezeichnen. Da fallen einem eher selbstfahrende Autos, IT und maschinelles Lernen ein. Das macht es für die Gießereibranche schwierig, Nachwuchs zu finden. In Zukunft wird der Fokus eindeutig auf dem Leichtbau liegen, vor allem bei Elektrofahrzeugen, und da wird der Guss eine große Rolle spielen. Das ist aber in der Öffentlichkeit noch nicht angekommen.

Emde: Ich selbst bin erst durch meine Bachelorarbeit näher mit der Gießereitechnik in Berührung gekommen. Dass es sich auf den ersten Blick nicht interessant anhört, liegt sicherlich an der Art und Weise, wie sich die Branche präsentiert: rauchende Hallen und große Tiegel, aus denen flüssiges Metall in die Luft spritzt. Aber die Technik, die dahinter steckt, sei es die Werkstoffkunde oder die Verfahrenstechnik, ist nicht auf Anhieb zu erkennen.

Kohlhepp: Wir müssen auf jeden Fall unser Image ändern, und dafür wird bereits geworben. Druckguss ist modern und bedient sich moderner Mittel. Die Herausforderungen des E-Antriebs können junge Talente anziehen.

Emde: Wenn man selbst in der Branche ist, sind die Bilder beeindruckend. Für alle Außenstehenden wäre es sicher interessanter, moderne Teile und Einsatzgebiete zu zeigen. Nehmen Sie zum Beispiel Tesla, der Versuch, eine ganze Karosserie als ein Teil zu gießen, macht sicher Eindruck.

 

Welche Bedeutung messen Sie Tesla und CEO Elon Musk in der Branche bei?

Kohlhepp: Elon Musk trägt dazu bei, dass die Branche cooler und begehrenswerter wird. Jeder hat verstanden, dass wir unser Image ändern müssen. Leichtbau und Aluminium waren vor zehn Jahren ein großes Thema in den Medien, mussten dann aber anderen Trendthemen weichen. Elon Musk hat den Aluminiumdruckguss wieder in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Er hat die gesamte Branche unter Wettbewerbsdruck gesetzt und sie gezwungen, wieder in diesen Bereich zu investieren.

Emde: Alle reden von weniger Gussteilen, die der Wandel zur E-Mobilität mit sich bringen wird, und dann kommt Elon Musk daher und gießt einen ganzen Heckrahmen als ein Teil. Das zeigt neue Technologien und erschließt vielversprechende neue Märkte.

Kohlhepp: Elon Musk hat schnell erkannt, dass die Digitalisierung eine sehr gute Möglichkeit ist, Werbung zu machen. Es gibt keine Werbung im herkömmlichen Sinne, sondern das Marketing funktioniert unter anderem durch die Selbstinszenierung von Elon Musk. Er hat sich über die sozialen Medien schnell eine große Fangemeinde aufgebaut, die er nun nicht mehr los wird. Sie klicken auf das, was er postet, und es interessiert sie nicht mehr, ob die Windschutzscheibe des Cyber-Trucks kaputt geht oder der Sattelschlepper wieder Verspätung hat.

 

Warum kann die Automobilindustrie in Deutschland nicht die gleiche Begeisterung wecken?

Kohlhepp: Solange etwas in Deutschland nicht patentiert oder auf dem Markt ist, bleibt es streng vertraulich. Tesla sieht das ganz anders. Es gibt Podcaster und Youtuber, die sich durch die Fabrik in Fremont, Kalifornien, führen lassen, alles filmen/aufzeichnen und später weltweit veröffentlichen. Das ist eine ganz andere Sichtweise als in Deutschland. Wir schützen interne Prozesse und Wissen sehr streng, auch wenn sie patentiert sind!

 

Deutschland war ein Pionier des Verbrennungsmotors. Wie sehen Sie die Umstellung auf E-Antriebe?

Kohlhepp: Nach dem, was ich von Zulieferern aus meiner Branche höre, läuft das Geschäft nicht schlecht. Aber wenn ich 40 Jahre lang Teile für den Verbrennungsmotor geliefert hätte und mich jetzt neu orientieren müsste, wäre die Stimmung auch bei mir anders. Ich arbeite in der Legierungsentwicklung, ich bin jünger und habe keine Vergangenheit in der Branche. Das gibt mir in meiner Denkweise den einfachen Vorteil, dass ich keine Altlasten mit mir herumtrage, da ich im Vergleich zur älteren Generation bei Null anfange.

 

Welchen Rat haben Sie für diejenigen, die nicht bei Null anfangen?

Kohlhepp: Der Wandel wird auf keinen Fall ein Untergang sein. Der Umsatz wird nicht einbrechen und die Gießereibranche wird auch in Zukunft gut dastehen. Das sollten auch die Älteren in der Branche nicht vergessen. Aber wir müssen mehr zukunftsorientiert denken. Welche Bauteile werden morgen zum Einsatz kommen und welche Anforderungen müssen diese Bauteile erfüllen? Es gibt bereits einige Ansätze, zum Beispiel Gehäuse für Elektromotoren mit eingegossenen Kühlkanälen. Ich sehe die Herausforderungen, vor denen die Branche derzeit steht, als Chance für meine Generation.

Emde: Ich sehe ein Problem des Standorts Deutschland. Es wäre schwierig, eine Balance zwischen Umweltschutz und Wirtschaftlichkeit zu finden. Aber wenn wir entschlossen vorgehen und es schaffen, mit modernen Methoden und Technologien den Prozess umweltfreundlich zu gestalten, zum Beispiel mit weniger Stromverbrauch, dann können wir das in die Welt exportieren.

Kohlhepp: Der größte Teil der CO2-Emissionen von Aluminium stammt aus der Produktion. Für die Elektrolyse wird eine immense Menge an Strom benötigt. Aber auch hier gibt es Ansätze, insbesondere bei den erneuerbaren Energien, die in Deutschland nur schwer umsetzbar wären. Andere Länder haben einige Vorteile. Norwegen zum Beispiel nutzt Wasserkraft für seine Aluminiumelektrolyse. Auf diese Weise ist es tatsächlich möglich, nahezu CO2-neutrales Primäraluminium zu beschaffen. Und in den Vereinigten Emiraten wurde eine riesige Solaranlage errichtet, die eine Gießerei in unmittelbarer Nachbarschaft mit Strom versorgt. Es gibt also bereits Ansätze, CO2-neutrales Primäraluminium zu verwenden, wenn ein Recycling nicht möglich ist.

 

Gibt es einen Unterschied in der Bedeutung, die dem Werkstoff Aluminium an der Universität und in der Industrie beigemessen wird?

Kohlhepp: Betrachtet man die Reihenfolge, in der die Themen in den Vorlesungen behandelt werden, erscheint Aluminium zunächst alt. Es wird immer noch verwendet, aber die "neuen und coolen" Materialien sind andere. Aber dass ein großer Teil der Industrie immer noch auf die traditionellen Werkstoffe angewiesen ist und dass es auch nach 80 Jahren noch Möglichkeiten gibt, sie zu verbessern, wird nicht deutlich gemacht. Hier gäbe es eine Chance, die Studenten in diese Richtung zu lenken.

Emde: Die Recycelbarkeit von Aluminium ist beispielsweise ein Vorteil gegenüber vielen technischen Kunststoffen, die sich nur schwer recyceln lassen und daher oft für eine spätere Verwendung verloren gehen. Hier kann der Einsatz von Aluminium einen Beitrag zum Umweltschutz leisten.

Kohlhepp: Die Gießereiindustrie hat so viele verschiedene Bereiche: Formentwicklung, Legierungsentwicklung, Verfahrenstechnik und mehr. Da ist für jede Interessengruppe der Branche etwas dabei, ob Werkstoffkunde, IT oder Elektrotechnik. Hier können noch entscheidende Innovationen gemacht werden, die von der Industrie tatsächlich genutzt werden können. Das war für mich immer ein großes Plus. Wenn ich im Aluminiumdruckguss etwas Bahnbrechendes entwickle, wird es in der Industrie Anwendung finden. Bei anderen populären Themen geht es immer noch um Grundlagenforschung, das ist also nicht so. In der Gießereibranche kann man noch etwas verändern, und darin liegt die große Motivation für junge Leute.

 

Was sollte sich an den Universitäten und Hochschulen ändern?

Kohlhepp: Es hilft, wenn Unternehmen direkt mit Hochschulen oder Universitäten kooperieren. Ich promoviere gerade in einer Kooperation zwischen einer Hochschule und einem Unternehmen. Das geht in der Regel weiter. Eine gute Kooperation wird in der Regel mit neuen Studentengenerationen an einer Hochschule fortgesetzt. Das bietet auch eine große Chance für die Entwicklung.

Emde: Es gibt überall Grundlagenvorlesungen. Wenn an praktischen Beispielen gezeigt wird, welche spannenden Technologien in der Gießereibranche eingesetzt werden, würde das sicherlich dazu beitragen, viele junge Menschen für die Branche zu gewinnen. Die Unternehmen sollten sich daher bemühen, zu zeigen, welche Spitzentechnologie in ihren Produkten eingesetzt wird. Das Anbieten von attraktiven Praktika und Exkursionen kann für Unternehmen und Hochschulen hilfreich sein, damit Studierende schnell praktische Erfahrungen sammeln können. Nur so können sie die Technik aus erster Hand erleben und sich schnell orientieren. Den Berufsalltag stellt man sich immer anders vor, als er dann tatsächlich ist. In den meisten Fällen lohnt es sich, über den Zaun zu schauen.

 

Autor

Nicole Kareta