• 03.07.2025
  • Fachbericht

Vom Auto ins All: Welche Chancen die Raumfahrt dem Druckguss bietet

Die Probleme der Automobilhersteller treffen die Druckgussindustrie ins Mark. Angesichts rückläufiger Absatzzahlen und struktureller Umbrüche stellt sich die Frage nach neuen Anwendungsfeldern für Druckgussteile. Ein Bereich, der in diesem Zusammenhang immer wieder genannt wird, ist die Luft- und Raumfahrt. Doch wie realistisch ist ein Einstieg? Und welche Rolle kann der Druckguss dort spielen? Ein Gespräch mit Prof. Dr. Guillermo Requena vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) liefert Einblicke – und macht ein wenig Hoffnung.

Geschrieben von Editors EUROGUSS 365

Ein sehr detailliertes und realistisches Bild einer unlackierten Autokarosserie, die in einer niedrigen Erdumlaufbahn schwebt

Zunächst die schlechte Nachricht: Für Anwendungen in der Luftfahrt ist der Druckguss nur bedingt geeignet. „In sicherheitsrelevanten Bereichen kommt es auf maximale Materialintegrität an. Druckgussteile stoßen hier aufgrund ihrer inhärenten Porosität schnell an Grenzen", erläutert Guillermo Requena, kommissarischer Direktor des Instituts für Frontier Materials auf der Erde und im Weltraum am DLR. Der Fokus liegt hier auf Feinguss, Schmiedeverfahren, 3D-Druck und hochvergüteten Knetlegierungen, die sich durch besonders dichte und homogene Gefügestrukturen auszeichnen.  

Nur in Randbereichen, etwa bei Sitzgestellen oder Verkleidungselementen, könnten Aluminiumdruckgussteile eine Rolle spielen, sagt der Experte. Die eigentlichen Potenziale für die Druckgussbranche liegen aber möglicherweise woanders.

Guillermo Requena
Guillermo Requena sieht bei “New Space”-Initiativen Chancen für den Druckguss.

Raumfahrt im Wandel: New Space als Türöffner
Ein spannendes Anwendungsfeld für Druckgusstechnologien könnte sich derzeit in der Raumfahrt auftun – insbesondere im Bereich der sogenannten „New Space“-Initiativen. Gemeint ist eine neue Generation von Raumfahrtunternehmen, die mit innovativen Geschäftsmodellen und industriellen Fertigungsansätzen antritt, um den Zugang zum All wirtschaftlicher zu gestalten. Hier entstehen beispielweise Satelliten nicht mehr als Einzelanfertigungen, sondern zunehmend in Serie.

Was sich derzeit entwickelt, ist ein Ökosystem für kostengünstige Satellitentechnologien. Dabei geht es nicht nur um Miniaturisierung, sondern auch um skalierbare Herstellungsverfahren“, erklärt Requena

Kleinsatelliten wie CubeSats sollen schnell, flexibel und preiswert gefertigt werden. Die Stückzahlen könnten dabei in die Tausende gehen – ein Bereich, in dem der Druckguss traditionell seine Stärken ausspielen kann.

CubeSat: Schlüsseltechnologie der Zukunft?

CubeSats sind standardisierte Kleinsatelliten mit einem modularen Aufbau, der auf Einheiten von 10×10×10 cm basiert. Ursprünglich für Ausbildungszwecke entwickelt, haben sie sich als flexible Plattform für Forschung und kommerzielle Anwendungen etabliert. CubeSats können je nach Konfiguration aus mehreren Units bestehen und erreichen Stückzahlen von mehreren Tausend pro Jahr. Sie kommen etwa bei Erdbeobachtung oder Kommunikation zum Einsatz. Dank ihrer geringen Kosten und schnellen Entwicklungszyklen gelten sie als Schlüsseltechnologie des „New Space“-Zeitalters – und als potenzieller Wachstumsmarkt für industrielle Fertigungsverfahren.

Kostendruck als Katalysator

Der Trend zu höherer Wirtschaftlichkeit könnte dem Druckguss den Weg ebnen: „In der Raumfahrt gilt zunehmend das Prinzip der wirtschaftlichen Funktionalität", so Requena. Das heißt: Es geht nicht um maximale Perfektion, sondern um die bestmögliche Kombination aus Gewicht, Funktion und Kosten. Genau hier könne der Druckguss punkten – insbesondere bei weniger belasteten Strukturelementen, Halterungen oder Geometrien mit hoher Komplexität.

Eine hier bereits als problematisch bezeichnete Eigenschaft dürfte dabei auf einmal zum Vorteil werden: die Porosität. Was in der Luftfahrt als Nachteil gilt, könnte sich in der Raumfahrt als nützlich erweisen. „Viele Satelliten müssen beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre kontrolliert verglühen. Poröse Materialien haben hier den Vorteil, dass sie sich bei hohen Temperaturen schneller auflösen“, erläutert der DLR-Experte. Das Zauberwort heißt „Demisability“. So könnte ausgerechnet die Struktur, die Druckguss bisher als sicherheitskritisch disqualifiziert hat, in bestimmten Raumfahrtanwendungen als Materialqualität willkommen sein.


Zertifizierung als überwindbare Hürde

Natürlich ist auch die Raumfahrt ein regulierter Markt. Bauteile, selbst wenn sie nicht sicherheitsrelevant sind, unterliegen Normen und Qualitätsstandards. Doch im Unterschied zur bemannten Luftfahrt lassen sich diese Anforderungen je nach Anwendung überschaubar halten. Werkstoffwissenschaftler Requena betont: „Wer den Druckguss gezielt in nichtrisikobehafteten Bereichen einsetzen möchte, kann durchaus Wege finden, den Zertifizierungsaufwand zu stemmen.

Für die Branche bedeutet das: Der Einstieg ist mit Aufwand verbunden, aber machbar – besonders für Gießereien, die bereit sind, sich auf neue Anforderungen, Dokumentationen und Prozesse einzulassen. Eine Spezialisierung auf spezifische Bauteilgruppen oder Funktionsmodule könnte den Markteintritt erleichtern.

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Hybride Ansätze

Ein weiterer Weg, die Raumfahrtanforderungen zu erfüllen, könnte in hybriden Fertigungsverfahren liegen. Verfahren wie zum Beispiel das Laserauftragschweißen (LMD) bieten Möglichkeiten, auf vorhandene Geometrien zusätzliche Schichten aufzubringen – etwa zur Verstärkung, Funktionserweiterung oder Integration technischer Schnittstellen. 

Gerade im Satellitenbau entstehen oft komplexe Baugruppen mit unterschiedlichen Anforderungen“, beschreibt Requena

Solche hybriden Ansätze könnten nicht nur neue Märkte erschließen, sondern auch das technologische Profil von Gießereien erweitern, die sich zukunftsorientiert aufstellen möchten.


Perspektive: Vom Zulieferer zum Mitgestalter

Noch ist der Anteil druckgegossener Bauteile in der Raumfahrt verschwindend gering. Doch die Dynamik im „New Space“-Segment, gepaart mit dem zunehmenden Bedarf an kosteneffizienten Fertigungstechnologien, könnte das ändern. Für Gießereien, die derzeit unter der Flaute der Automobilindustrie leiden, eröffnet sich hier vielleicht eine Möglichkeit zur Diversifizierung.

Die Raumfahrt kann wohl kein Ersatz für den Automobilsektor sein, aber ein vielversprechendes Zusatzfeld. Besonders im Bereich der Kleinsatelliten könnte der Druckguss einen Aufschwung erleben – als kosteneffiziente, anpassungsfähige und akzeptierte Technologie. Voraussetzungen sind: technische Anpassungsbereitschaft, Prozesswissen und ein langer Atem. Wer sich darauf einlässt, kann den Sprung vom Auto ins All schaffen.

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