Prof. Dr.-Ing. Christian Hopmann leitet das Institut für Kunststoffverarbeitung der RWTH Aachen und ist Vorsitzender der VDI-Gesellschaft Materials Engineering (GME), die sich auf aktuelle Fragestellungen im Bereich Materials Engineering entlang der gesamten Wertschöpfungskette fokussiert. Christian Hopmann hat die Studie Widerstandsfähigkeit und Wandlungsfähigkeit von produzierenden Unternehmen am Standort Deutschland geleitet.
Sandra Füllsack ist seit 2016 CEO der Motan Gruppe, Geschäftsführerin der Motan Holding GmbH in Konstanz und Mitglied im Strategiekreis Kunststofftechnik der VDI-GME. Sandra Füllsack war Mitglied im Sounding Board, das die VDI-Studie begleitet hat.
VDI: Was war der Anlass für die Studie?
Christian Hopmann: Vieles, das lange in Unternehmen gut lief, funktioniert heute nicht mehr. Wir sehen heute eine bunte Krisen-Gemengelage: Lieferketten stocken, Pandemien erfordern Umdenken, Fachkräfte fehlen. Große Konzerne haben dafür meist schon Strategien entwickelt und setzen diese auch um. Unsere kompakte Studie richtet sich deshalb vor allem an mittelständische Unternehmen, die in Deutschland produzieren und die jetzt auch für sich klären sollten: Wo stehen wir? Und was sollten wir tun, um krisenfester zu werden?
VDI: Welches sind die wichtigsten Ergebnisse der Studie?
Christian Hopmann: Eine spannende Erkenntnis war, dass Unternehmensresilienz wirklich eine ganzheitliche Aufgabe ist. Es gibt quasi keinen Unternehmensbereich, der nicht betroffen ist. Das hilfreichste Ergebnis für den Mittelstand, an den sich die Studie ja vor allem richtet, ist sicherlich das umfangreiche VDI-Kompendium. In dem sind 130 Resilienz-Konzepte aus ganz unterschiedlichen Branchen gesammelt und systematisch nach Themen geordnet aufbereitet. Mit diesem pragmatischen Ansatz machen wir es Unternehmen leicht, auf für sie relevante und vor allem konkrete Informationen zuzugreifen.
Sandra Füllsack: Widerstandsfähigkeit ist ja weit mehr, als in und nach Krisen nur den alten Zustand wiederherzustellen. Das alleine reicht in den vielen Spannungsfeldern, denen sich der Mittelstand heute stellen muss, schon lange nicht mehr aus: Zukunftsfähigkeit und Resilienz bedeuten immer auch eine permanente Wandlungsfähigkeit im Unternehmen – und dies nicht als Bürde, sondern als Chance zu begreifen.
VDI: Wenn ein Unternehmen jetzt erst beginnt, sich mit dem Thema Resilienz auseinanderzusetzen, womit sollte es beginnen?
Sandra Füllsack: Zu den ersten Fragen, die beantwortet werden müssen, gehört sicher: Was will ich als Unternehmen überhaupt? Welche Risiken betreffen mich vor allem? Sind es eher die Lieferketten oder sind es die notwendigen Qualifikationen meiner Mitarbeitenden in einem sich wandelnden Umfeld? Die VDI-Studie ist dafür sehr hilfreich, denn nach einem kurzen und gut lesbaren theoretischen Teil, können Unternehmen quasi per Checkliste abhaken, in welchen Handlungsfeldern sie Schwerpunkte setzen wollen und wo bei ihnen akuter Handlungs- oder Verbesserungsbedarf besteht. Sie erkennen dabei außerdem, wo sie schon gut aufgestellt sind und können aus den Best-Practice-Beispielen anderer Unternehmen Impulse für sich mitnehmen.
Christian Hopmann: Resilienz ist ein sehr individuelles Thema. Es gibt nicht den einen richtigen Weg, weil jedes Unternehmen anders aufgestellt ist. Der erste Schritt zu mehr Krisenfestigkeit ist aber immer eine Risikoanalyse: Wo steht das Unternehmen im Markt und welches sind die bedeutsamsten Risikofaktoren? Danach gilt es, durch für genau dieses Unternehmen passende Maßnahmen Anpassungsfähigkeit, Flexibilität und Agilität zu stärken. Wichtig ist auch zu verstehen, dass Resilienz ein kontinuierlicher Prozess ist, der nie endet. Und letztlich ist Resilienz ja auch nicht nur ein unternehmerisches Thema, sondern ein gesamtgesellschaftliches, mit dem sich zum Beispiel auch die Gewerkschaften und natürlich die Politik unbedingt stärker beschäftigen sollten.
VDI: Welches sind die wichtigsten Maßnahmen für eine hohe Krisenresilienz?
Christian Hopmann: Da jedes Unternehmen anders ist, gibt es hier kein Pauschalrezept, das für alle funktioniert. Klar ist aber: Wichtig sind immer die Lieferketten. Sind diese optimiert und idealerweise auch diversifiziert, also breit aufgestellt, trifft es das Unternehmen nicht so hart, wenn eine davon schwächelt oder ganz zusammenbricht. Die anderen gleichen den Ausfall dann bestenfalls aus, ohne dass die Produktion beeiträchtigt wird. Außerdem sollte ein gutes Risikomanagement dafür sorgen, dass die Risiken möglichst weit gestreut sind. Ein modernes Risikomanagement wiederum funktioniert nicht ohne Digitalisierung. Da gilt es, up to date zu bleiben.