- 14.10.2025
- Fachbericht
- Nachhaltigkeit & CO2-Neutralität
Sekundäraluminium im Serieneinsatz: BMW iX3 zeigt neue Wege im Guss
Die BMW Group verfolgt bei ihrer „Neuen Klasse“ einen ganzheitlichem Nachhaltigkeitsansatz in Lieferkette, Produktion und Nutzungsphase und setzt beim ersten Modell, dem iX3, in größerem Umfang auf den Einsatz von Sekundäraluminium in Gussteilen. Radträger und Schwenklager bestehen zu 80 Prozent, die Aluminiumräder zu 70 Prozent aus Recyclingmaterial. Für die Gießereiindustrie ist dieser Schritt ein bemerkenswertes Signal: Er zeigt, dass hohe Sekundäranteile in dynamisch belasteten Bauteilen realisierbar sind. Wir haben bei BMW nachgefragt, mit welchen Verfahren und Maßnahmen dies umgesetzt wird.
Geschrieben von Editors EUROGUSS 365

Räder und Radträger bezieht das Unternehmen aus seinem Lieferantennetzwerk. Im BMW-Werk Landshut wurden allerdings zwei neuartige Verfahren etabliert, die das Gießen von Aluminiumbauteilen auf eine neue Grundlage stellen. Das „Injector Casting“ wird für das Gehäuse des Elektromotors genutzt, der Leistungselektronik, Getriebe, Stator, Rotor und Kühlung in einer Einheit vereint. „Dieses Verfahren, das wir in Landshut entwickelt und patentiert haben, ermöglicht eine effiziente Füllung der Kokille mittels eines Injektors, wodurch kein zusätzliches Angusssystem benötigt wird“, erläutert eine BMW-Sprecherin. Durch die geringere Schmelzetemperatur sinkt der Energiebedarf, die Erstarrung erfolgt schneller, die mechanischen Eigenschaften verbessern sich. Das Ergebnis sind dünnwandige Strukturen, die dennoch hohen Belastungen standhalten.
Zusammenspiel von Robotik und Sensorik
Der zweite Schlüsselprozess ist der „Integralguss“, mit dem der Hinterachsträger in einem Stück gefertigt wird. Diese Bauweise reduziert den Materialeinsatz und sorgt dadurch für ein geringeres Gewicht. „Dies führt nicht nur zu Materialeinsparungen, sondern senkt auch den CO₂-Ausstoß sowohl in der Produktion als auch im späteren Fahrzeugbetrieb“, so die BMW-Sprecherin. Der Hinterachsträger übernimmt zentrale Aufgaben bei Fahrdynamik und Crashsicherheit – dass er auch aus Sekundäraluminium bestehen kann, ist ein Beleg für den erreichten Stand der Entwicklung. Konkrete Angaben zu den Sekundärrohstoffquoten einzelner Bauteile wollte BMW nicht machen.
Die Fertigung selbst gleicht inzwischen einem fein choreografierten Zusammenspiel von Robotik und Sensorik. Schon beim Kernhandling wird sichtbar, wie Automatisierung die Prozesse prägt: Roboter greifen Sandkerne direkt aus der Kommissionierung und legen sie passgenau in die Form. Beim Siebhandling verhindert ein Nadelgreifer, dass Verunreinigungen in die Schmelze gelangen – eine Technik, die ursprünglich aus der CFK-Produktion stammt. Kamerasysteme prüfen die exakte Positionierung, bevor gegossen wird. Auch nach dem Guss setzt sich die Automatisierung fort: Roboter entnehmen die Teile und übergeben sie an die Fördertechnik, die sie in die Bearbeitung transportiert. Selbst der Ofendeckel wird inzwischen automatisch bedient.

Konsequente Qualitätssicherung
Innovativ ist auch die Qualitätssicherung. Ein KI-basierte Kamerasystem überprüft jedes Teil auf Vollständigkeit, Ultraschallmessungen erfolgen erstmals ohne Koppelmedium und ermöglichen eine schnelle, vollautomatische Wanddickenkontrolle. Hinzu kommt eine kontinuierliche Parameterwertüberwachung, die alle relevanten Prozessgrößen in Echtzeit erfasst und Abweichungen sofort meldet. Auf diese Weise werden mögliche Fehler früh erkannt, bevor sie im Folgeprozess zu Störungen führen könnten.
Für die genannten Bauteile verwendet BMW AlSi7Mg. „Trotz eines höheren Anteils an Sekundäraluminium zeigen sich keinerlei nachteilige Auswirkungen auf die mechanischen Eigenschaften der Legierung“, erklärt BMW. Durch gezielte Auswahl und Kontrolle der Recyclingprozesse sowie eine konsequente Qualitätssicherung bleibe das mechanische Eigenschaftsprofil stabil und erfülle sämtliche Anforderungen hinsichtlich Festigkeit, Duktilität und Dauerbelastbarkeit.

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Leichtbaukompetenz am Standort Landshut
In der Serienfreigabe gelten keine Sonderregeln für Recyclingmaterial. Die BMW-Sprecherin bringt es auf den Punkt: „Es gelten die gleichen hohen Anforderungen an Qualität, Sicherheit und Zuverlässigkeit für Primär- und Sekundärmaterialien.“
Die Verantwortung für die Gussteile liegt größtenteils im eigenen Haus. Zwar prüft BMW bei jedem Bauteil, ob eine externe Vergabe sinnvoll ist, doch die Leichtbaukompetenz am Standort Landshut erlaubt es, zentrale Gussteile selbst herzustellen. Lieferanten bleiben Teil des Prozesses, doch die entscheidenden Entwicklungsschritte werden konzernintern gesteuert.
Auftakt zur „Neuen Klasse“
Der iX3 ist der erste Vertreter der sogenannten „Neuen Klasse“, die für BMW die nächste Generation an Fahrzeugen repräsentiert. Sekundärmaterialien spielen dabei eine strategische Rolle. „Basierend auf den vier strategischen Kernelementen liegt der Fokus auf der kreislaufgerechten Produktentwicklung, in welchem der Einsatz von sekundären Rohstoffen als ein Leitprinzip in der Entwicklung umgesetzt wird“, erklärt die BMW-Sprecherin. Dieser Ansatz wird unter dem Schlagwort „Design for Circularity“ zusammengefasst und reicht vom Material über die Demontagefreundlichkeit bis hin zu einer besseren Recyclingfähigkeit.
Die Umsetzung stößt jedoch an eine Grenze, die außerhalb der Werkstore liegt: Die Verfügbarkeit geeigneter Sekundärmaterialien ist eingeschränkt. Mit steigender Nachfrage wächst der Druck auf die Recyclingketten. Für die Gießereitechnik bedeutet das, dass Prozesse wie Injector Casting oder Integralguss zwar vorbereitet sind, ihr Einsatz aber immer vom Zugang zu hochwertigem Sekundäraluminium abhängt.
Guss bleibt Schlüsseldisziplin
Der iX3 zeigt, dass Gussteile aus Sekundäraluminium in Großserie möglich sind, selbst wenn sie sicherheitsrelevante Funktionen übernehmen. Er zeigt auch, dass eine hochautomatisierte Fertigung mit KI-gestützter Kontrolle bereits Realität ist. Für die Gießereitechnik ist dies ein Signal: Sie bleibt eine Schlüsseldisziplin, wenn es darum geht, Dekarbonisierung, Ressourceneffizienz und industrielle Großserienfertigung in Einklang zu bringen.
Das Aluminium aus zweiter Hand wird zum Baustein einer neuen Fertigungskultur – mit Verfahren, die Energie sparen, Material im Kreislauf halten und Bauteile schaffen, die den Belastungen der Mobilität von morgen standhalten.
Auch bei der Entwicklung weiterer Komponenten setzt BMW verstärkt auf innovative Werkstoffe und den Einsatz von Sekundärmaterial. Beispielsweise besteht das Ausgangsmaterial für die Motorraumabdeckung und das Staufach unter der Frontklappe zu 30 Prozent aus recyceltem maritimem Kunststoff. Er stammt von alten Fischernetzen und Seilen.