- 23.10.2025
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Megacasting aus der Sicht eines Konstrukteurs
Megacasting ist eine der innovativsten Entwicklungen der letzten Jahre in der Gießereibranche. Dieser Prozess, bei dem große Strukturbauteile aus Aluminium im Druckgussverfahren hergestellt werden, gewinnt weltweit zunehmend an Bedeutung. Doch was bedeutet diese Entwicklung aus der Sicht eines Konstrukteurs? Ein Artikel von Stefan Kneer, Abteilungsleiter Konstruktion und Business Development bei Albert Handtmann.

OEM, die auf Megacasting setzen, verfolgen das Ziel, komplexe Baugruppen aus zahlreichen Einzelteilen durch ein einziges Bauteil zu ersetzen. Dadurch können nicht nur Gewicht und Kosten reduziert, sondern auch Produktionsprozesse vereinfacht werden. Besonders der Hinterwagen hat sich als Standardprodukt im Megacasting etabliert. Auch Batterierahmen aus einem Guss gewinnen zunehmend an Bedeutung. Die Substitution von Baugruppen durch ein einziges großes Bauteil reduziert die Produktionskosten erheblich. Zusätzlich können durch die Vorteile des Druckgussverfahren komplexe Geometrien und damit einhergehende Funktionsintegration umgesetzt werden.

Herausforderungen bei der Entwicklung von Megacasting-Bauteilen
Die Entwicklung von Megacasting-Komponenten bringt zahlreiche neue Herausforderungen mit sich. Die Konstruktion dieser Bauteile erfordert nicht nur die Integration vielfältiger Anforderungen und Funktionen der konventionellen Baugruppen, sondern auch die Berücksichtigung der spezifischen Gegebenheiten des Druckgussverfahrens.
Da es sich bei Megacasting-Komponenten um völlig neue Produkte ohne Vorgänger handelt, existieren keine Erfahrungswerte. Konstrukteure müssen daher ein neues Lastenheft entwickeln, das die Grundlage für Simulationsmodelle bildet. Diese Modelle decken verschiedenste Lastfälle ab, darunter Betriebslasten, Heck- und Seitencrash sowie NVH (Noise, Vibration, Harshness).
Ein besonderes Augenmerk liegt darauf, die unterschiedlichen Funktionen und Anforderungen der ursprünglichen Baugruppe in einem einzigen Bauteil zu vereinen. Diese Anforderungen betreffen mechanische Eigenschaften, Schnittstellen zu angrenzenden Komponenten sowie spezifische Fertigungseinschränkungen.
Topologieoptimierung und Subdivision-Modelling ermöglichen komplexe Formen intuitiv zu erstellen
Basis für die Arbeit des Konstrukteurs bildet eine Simulation der optimalen Topologie auf Basis der Produktlastfälle und des zur Verfügung stehenden Bauraums. Dies ist ein essenzieller Schritt, um sicherzustellen, dass das Material nur dort eingesetzt wird, wo es benötigt wird. Bei der anschließenden Ableitung von CAD-Daten setzt Handtmann seit einigen Jahren erfolgreich auf das Subdivision-Modelling, einer Technik aus der Computer- und Filmbranche, welche die Geometrieerstellung sowie -optimierung deutlich erleichtert.
Subdivision-Modelling ermöglicht es den Konstrukteuren, komplexe Formen intuitiv und effizient zu erstellen. Dies ist besonders bei Megacasting-Bauteilen wichtig, da die optimale Geometrie eine entscheidende Rolle für die strukturelle Sicherheit und Herstellbarkeit spielt. Diese Methode erlaubt zudem eine schnelle Anpassung an geänderte Anforderungen, was die Flexibilität im Entwicklungsprozess erhöht. Daraus resultieren neben verkürzten Entwicklungszeiten auch deutliche Gewichtseinsparungen.
Ein weiteres zentrales Element bei der Entwicklung von Megacasting-Bauteilen ist das Design for Manufacturing. Bereits in frühen Entwicklungsphasen müssen funktionale und gießtechnische Anforderungen simultan in einem iterativen Prozess berücksichtigt werden. Hierbei spielen parallele Simulationsschleifen eine entscheidende Rolle, um die Machbarkeit des Bauteils sicherzustellen.
Die Gießsimulationen helfen dabei, potenzielle Probleme wie Lufteinschlüsse, Materialfehler oder eine unzureichende Füllung des Werkzeugs zu identifizieren. Diese Informationen fließen in die Optimierung der Bauteilgeometrie ein und es entsteht ein Endprodukt, welches den hohen Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen der Automobilindustrie entspricht.
Der erweiterte Aufgabenbereich eines Konstrukteurs
Die Komplexität von Megacasting-Komponenten hat auch den Aufgabenbereich der Konstrukteure grundlegend verändert. Während in der Vergangenheit ein einzelner Konstrukteur die vollumfängliche Verantwortung trug, ist dies heute nicht mehr möglich.
Die Entwicklung erfordert die Zusammenarbeit von mindestens vier Konstrukteuren. Zwei konzentrieren sich auf die Bauteilgeometrie, ein weiterer übernimmt die Auslegung des Gießsystems und ein vierter konzipiert das Druckgusswerkzeug. Diese Teamarbeit wird durch einen strukturierten Modellaufbau sowie zielgerichtete Simulationsmodelle unterstützt.
Neben der Teamarbeit spielt auch die Weiterentwicklung der Kompetenzen der Konstrukteure eine entscheidende Rolle. Die Entwickler müssen sich kontinuierlich in neuen Technologien und Methoden schulen, um den steigenden Anforderungen gerecht zu werden. Hierzu gehören nicht nur technische Kenntnisse, sondern auch organisatorische und kommunikative Fähigkeiten, um die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Fachabteilungen zu koordinieren.

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Neue Anforderungen an Werkzeuge und Materialien
Die größeren Bauteile bringen auch neue Herausforderungen für Werkzeuge und Materialien mit sich. Beispielsweise müssen neue Vakuum-, Schieber- und Temperierkonzepte entwickelt werden. Die langen Fließwege der Schmelze ermöglichen nur einen geringeren Nachdruck und erfordern innovative Ansätze. Zusätzlich müssen die Werkzeuge wartungsfreundlich gestaltet werden, um Stillstandzeiten zu minimieren.
Ein wichtiger Aspekt ist auch die Materialauswahl. Aluminiumlegierungen, die für Megacasting geeignet sind, sollen hohe Festigkeiten und eine gute Gießbarkeit aufweisen. Gleichzeitig müssen sie den Anforderungen an Korrosionsbeständigkeit und Recyclingfähigkeit entsprechen. Konstrukteure sind hier gefordert, die Materialeigenschaften gezielt mit den Anforderungen der Bauteilgeometrie abzugleichen und optimale Lösungen für das Zusammenspiel aus Fließverhalten, Toleranzen und Festigkeit zu erarbeiten.
Effizienzgewinne durch Megacasting
Trotz der hohen Komplexität ist die Entwicklung von Megacasting-Bauteilen insgesamt sehr effizient. Statt zahlreiche Einzelteile zu entwickeln, zu produzieren und zu lagern, konzentrieren sich alle Prozesse auf ein einziges Bauteil. Dies reduziert nicht nur den Produktionsaufwand, sondern vereinfacht auch die administrativen Prozesse für OEM erheblich.
Ein weiterer Vorteil ist die Reduzierung der Entwicklungszeit. Durch den Einsatz moderner Methoden und optimierter Fertigungsprozesse kann die Zeitspanne von der ersten Konzeptidee bis zur Serienproduktion erheblich verkürzt werden. Dies verschafft den OEM einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil, insbesondere in einem Markt, der von schnellen Innovationszyklen geprägt ist.
Fazit
Megacasting stellt Konstrukteure vor eine Vielzahl neuer Herausforderungen, bietet aber zugleich enorme Chancen für die Automobilindustrie. Durch innovative Ansätze wie Topologieoptimierung, Subdivision-Modelling und eine enge Zusammenarbeit im Team können diese Herausforderungen gemeistert werden. Die Effizienzgewinne, die sich durch die Substitution komplexer Baugruppen ergeben, machen Megacasting zu einer wegweisenden Technologie mit großem Zukunftspotenzial. Zusätzlich leistet Megacasting einen wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeit, da der Materialeinsatz optimiert und die Recyclingfähigkeit vereinfacht wird. Die Branche steht somit vor einem spannenden Wandel, der die Rolle des Konstrukteurs grundlegend neu definiert.
Mit der Investition beweist Handtmann sein Unternehmertum und seine Innovationsorientierung. Megacasting ist ein wichtiger Baustein der Handtmann Strategie zur Unterstützung seiner Kunden in der Transformation, um die deutsche Automobilwirtschaft in ihrer Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Investitionen in neue Prozesse und Technologien sind der Schlüssel, um langfristiges Wachstum, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
Für Handtmann gelingt durch Megacasting der Eintritt in neue Produktbereiche. Gemäß dem Leitmotto „Ideen mit Zukunft“ wird Handtmann seine Wettbewerbsfähigkeit weiter steigern und sich als zuverlässiger Druckgießer und Entwicklungspartner mit über 150 Jahren Erfahrung neu positionieren.