• 27.11.2025
  • Fachbericht

Jenseits von Getriebegehäuse und Zylinderkopf – neue Absatzwege für den Druckguss

Der europäische Druckguss steckt in der Transformation. Die Abhängigkeit von der schwächelnden Automobilindustrie wird zur Belastungsprobe. Immer mehr Gießereien suchen Alternativen. Ob Luftfahrt, Medizintechnik oder Lifestyle: Beispiele aus Deutschland und anderen Ländern zeigen, dass erfolgreich andere Wege beschritten werden können.

Geschrieben von Editors EUROGUSS 365

Großes Verkehrsflugzeug hebt von einer Startbahn ab, leicht nach oben geneigt. Das Flugzeug ist weiß mit dunkelblauem Leitwerk. Im Hintergrund sind Bäume und ein bewölkter Himmel zu sehen.
Der europäische Druckguss steckt in der Transformation. Die Abhängigkeit von der schwächelnden Automobilindustrie wird zur Belastungsprobe. Immer mehr Gießereien suchen Alternativen. Ob Luftfahrt, Medizintechnik oder Lifestyle: Beispiele aus Deutschland und anderen Ländern zeigen, dass erfolgreich andere Wege beschritten werden können.
Weiße Quadrokopter-Drohne mit montierter Kamera schwebt in der Luft über einer grünen Landschaft. Im Hintergrund unscharfe Wiesen und blauer Himmel mit Wolken.
Diverse Halterungen oder auch die Kufen von Drohnen sind nicht selten Druckgussteile.

Kaum eine Industrie in Europa ist so eng mit dem Automobilbau verflochten wie der Druckguss. Ein hoher Anteil der produzierten Aluminium- und Magnesiumdruckgussteile entfällt auf Fahrzeugkomponenten – vom Getriebegehäuse über Strukturbauteile bis zu Hochvoltgehäusen für E-Autos. Diese Abhängigkeit wird zunehmend zum Risiko.

Die Automobilindustrie kämpft mit rückläufiger Nachfrage und Produktionskürzungen. Parallel verschärft sich der Preiswettbewerb: OEMs verlagern Aufträge in Regionen mit geringeren Energiekosten, während Materialpreise und Löhne in Europa steigen. Die Folge: Zahlreiche mittelständische Gießereien mussten in den vergangenen zwei Jahren Insolvenz anmelden.

Damit steht der Druckguss vor der Aufgabe, sich neu zu erfinden. Häufig ist von „Diversifizierung“ die Rede, also vom Schritt in neue Kundensegmente jenseits des Automobils.

Diversifizierung als Herausforderung

Fachverbände und Berater predigen sie seit Jahren, doch die Umsetzung bleibt schwierig. Zwar sind Aluminium-, Magnesium- und Zinkdruckgussverfahren grundsätzlich branchenübergreifend einsetzbar. Aber Märkte wie Luftfahrt, Medizintechnik oder Verteidigung folgen anderen Regeln: Stückzahlen sind kleiner, Entwicklungszyklen länger und die Zertifizierungsanforderungen deutlich höher.

Wer in die Luftfahrt liefern will, braucht zum Beispiel eine ISO 9001-Zertifizierung, für manche Teile sogar eine EN 9100-Zertifizierung, für die Medizintechnik gilt ISO 13485, und in sicherheitskritischen Bereichen sind Prozessdokumentation, Rückverfolgbarkeit und zerstörungsfreie Prüfverfahren Pflicht. Hinzu kommen wirtschaftliche Hürden: Kleinserien verlangen flexible Werkzeuge, schnell umrüstbare Maschinen und eine Kalkulation, die auch bei 500 statt 50 000 Teilen aufgeht.

Wie aber sieht Diversifizierung in der Praxis aus? Einige Gießereien haben den Schritt gewagt. Ein Blick auf ausgewählte Unternehmen in Europa zeigt, wohin die Reise gehen kann. 

 

Erfolgreiche Beispiele aus Europa

Die Schüle-Gruppe aus Schwäbisch Gmünd mit rund 750 Mitarbeitenden an Standorten in Deutschland, Polen und der Slowakei gehört zu den klassischen Automobilzulieferern. Inzwischen verfolgt Schüle eine gezielte Diversifizierungsstrategie – und fertigt erstmals auch Komponenten für die Medizintechnik. Produziert werden Zylinder und Zylinderköpfe für Dental-Kompressoren renommierter deutscher Hersteller, gegossen im Aluminium-Kaltkammerverfahren und anschließend CNC-bearbeitet. Mit der Ausweitung auf Medizintechnik, Gebäudetechnik und Freizeitprodukte zeigt Schüle, wie sich etablierte Gießereien mit Präzision, Prozesssicherheit und Werkstoffkompetenz neue Märkte erschließen können.

Ebenfalls im Bereich Medizintechnik unterwegs ist die Schött Druckguss GmbH in Menden. Das Unternehmen fertigt Aluminiumdruckgussteile für Labor-, Diagnostik- und Rehatechnik – etwa Gehäuse für Analysegeräte, Pumpenmodule oder Komponenten für Dentaleinheiten. Die Anforderungen an Maßhaltigkeit, Sauberkeit und Korrosionsbeständigkeit sind hier besonders hoch.

Die Kalmbach GmbH aus Velbert zählt zu den traditionsreichen Zink- und Aluminiumdruckgießereien Deutschlands. Neben Automobilkunden beliefert das Familienunternehmen unter anderem Hersteller aus der Elektro- und Steuerungstechnik mit Gehäusen, Steckverbindern und Präzisionskomponenten. Produziert wird in Warmkammeranlagen. Die Gussteile werden anschließend CNC-bearbeitet und galvanisch veredelt.

Einen ähnlichen Kurs verfolgt Protocast GmbH in Wuppertal. Das Unternehmen fertigt Aluminium-, Zink- und Magnesiumdruckgussteile für Elektronik-, Licht- und Medizintechnik. Im Portfolio finden sich präzise Gehäuse für Leistungselektronik, LED-Module und Sensorkomponenten.

Wie sich Design und Funktion verbinden lassen, zeigt die dänische Firma ScanCastor. Das Unternehmen ist auf Rollen, Beschläge und Designkomponenten für die Möbelindustrie spezialisiert. In Aluminium-, Zink- und Magnesiumdruckguss entstehen jährlich mehrere Millionen Formteile, die später verchromt, pulverbeschichtet oder eloxiert werden. Die Gussteile vereinen Tragfähigkeit mit ansprechender Oberfläche – eine Kombination, die in der Konsumgüterbranche zunehmend gefragt ist.

Die HDO Druckguß- und Oberflächentechnik GmbH aus Paderborn steht für dekorative und funktionale Aluminiumdruckgussteile in Haushalts- und Gebäudetechnik. Das Spektrum reicht von Armaturengehäusen über Designfronten für Haushaltsgeräte bis zu Strukturelementen für Smart-Home-Systeme. Gefertigt wird im Kaltkammerverfahren, ergänzt durch eine eigene Lackier- und Galvanikanlage.

Ein weiteres Beispiel liefert die italienische MAG Bike AG in Bozen. Das Unternehmen entwickelt und produziert nach einem patentierten Verfahren einteilige E-Bike-Rahmen aus Magnesiumguss, bei denen Batterieaufnahme und Kabelkanäle bereits im Guss integriert sind. Damit demonstriert MAG Bike, dass Leichtmetallguss auch im Lifestyle-Segment Potenzial besitzt.

Dass es möglich ist, sich mit Druckgussprodukten im Bereich Luft- und Raumfahrt zu etablieren, zeigt das türkische Unternehmen Kalkanci Aluminium Die Casting mit Sitz

in Istanbul. Es führt komplexe Aluminiumkomponenten für diese Industrien in seinem Programm. Typische Produkte sind Gehäuse und Strukturbauteile für Avionik- und Triebwerksysteme. Prüfungen mittels CT-Scanner und Spektrometer sichern die geforderte Bauteilqualität.

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Blick über den Tellerrand

Nicht alle Märkte sind gleichermaßen zugänglich. Branchen wie Defence oder Drohnenfertigung bleiben für viele Gießereien schwierig – aus politischen, aber auch technologischen Gründen.

Einerseits erschweren Exportbeschränkungen, Sicherheitszertifizierungen und langwierige Vergabeprozesse den Markteintritt. Andererseits stellen militärische Anwendungen extreme Anforderungen an Werkstoff und Prozess: hohe Festigkeit, Temperaturwechselbeständigkeit und vibrationsarme Strukturen. Klassische Automotive-Legierungen stoßen hier an Grenzen.

Der Verteidigungssektor verlangt außerdem kompromisslose Qualitätssicherung. Gas- und Lufteinschlüsse sind in sicherheitsrelevanten Komponenten nicht tolerierbar. Vakuum-Druckguss, Thixocasting und halbfeste Verfahren gelten als bevorzugte Technologien, ergänzt durch CT- und Ultraschallprüfungen mit vollständiger Rückverfolgbarkeit. Auch die Produktionslogik unterscheidet sich deutlich vom Automotive-Geschäft: Während dort Millionen Bauteile jährlich gefertigt werden, liegen die Stückzahlen im Defence-Bereich oft nur im dreistelligen Bereich. Wirtschaftlich attraktiv wird das Geschäft vor allem für spezialisierte Gießereien, die Kleinserien, Prototyping und Hochpräzision beherrschen.

Ein Beispiel für die technologische Anschlussfähigkeit bietet Dynacast – ein weltweit tätiger Präzisions-Druckgusshersteller mit Standorten in Europa. Das Unternehmen liefert Druckgussteile für Branchen wie Elektronik, Telekommunikation und industrielle Steuertechnik, aber auch Komponenten für leichte Drohnensysteme, wie sie auch im Defence-Bereich zum Einsatz kommen.

 

Vom Teilefertiger zum Entwicklungspartner

Die Abhängigkeit vom Automobil bleibt für viele Gießereien ein strukturelles Risiko. Doch die Beispiele zeigen, dass neue Märkte erreichbar sind – wenn technologische Exzellenz und Branchenspezifik zusammenfinden.

Wer Zertifizierungen wie EN 9100 oder ISO 13485 erwirbt, Kleinserienprozesse beherrscht und bereit ist, sich auf neue Anforderungen einzulassen, kann Druckguss auch in Medizintechnik, Elektronik oder Lifestyle erfolgreich positionieren. Hilfreich ist der Wandel vom reinen Teilefertiger zum Entwicklungspartner, der Werkstoffkompetenz, Design-Know-how und Prozessstabilität vereint.

Diversifizierung verlangt Investitionen, Geduld und Spezialisierung. Aber sie zeigt, dass Druckguss mehr kann als Getriebegehäuse und Zylinderköpfe.

Autor

EUROGUSS 365
Editors EUROGUSS 365
euroguss365@nuernbergmesse.de