- 19.08.2025
- Interview
- Nachhaltigkeit & CO2-Neutralität
Industriestrompreis und Zuschüsse für neue Anlagen: Roadmap zur CO2-Neutralität braucht Drive von der Politik
Mit der Roadmap „Treibhausgasneutralität für die deutsche Gießerei-Industrie“ hat der BDG einen Fahrplan zur Dekarbonisierung der Branche bis 2045 vorgestellt. Der Erarbeitung ging das vom Land NRW geförderte Projekt „InnoGuss“ voraus, dessen Erkenntnisse durch aufwändige Modellierung um wirtschaftliche Aspekte erweitert wurden. EUROGUSS 365 fragte die BDG-Experten Elke Radte und Dr. Christian Schimansky zu möglichen Transformationspfaden und dazu, wie sich aktuelle Entscheidungen etwa zu Stromsteuer und Wasserstoffwirtschaft darauf auswirken.
Geschrieben von Editors EUROGUSS 365

Frau Radtke, Herr Schimansky, was hat Sie an den Ergebnissen der Roadmap selbst am meisten überrascht?
Elke Radtke: Für unsere mittelständischen Unternehmen, die seit Jahren unter ungünstigen Rahmenbedingungen operieren müssen, stellt sich natürlich die Frage: Was kostet mich die Transformation? Dass der Switch eines fossil betriebenen Schmelzaggregates inklusive Neubau der Infrastruktur kein Schnäppchen ist, ist klar. Erstaunlich hingegen sind die modellierten Kosten für die stetige Anwendung der „Besten Verfügbaren Techniken“ bzw. des Standes der Technik. Die am Standort betriebenen Anlagen auf dem neusten Stand zu halten, um damit kontinuierliche Effizienzgewinne realisieren zu können, generiert bereits erheblichen finanziellen Aufwand. Natürlich wird dies in der Regel unter Instandhaltung verbucht – der Einsatz neuer, energie- und rohstoffsparender Technik trägt aber in hohem Maße zur Minderung von CO2 bei und bietet somit bereits einen nicht zu unterschätzenden Hebel zur Transformation.


Die Roadmap zeigt: Ohne günstigen grünen Strom ist Treibhausgasneutralität nicht zu erreichen. Die Bundesregierung ist von ihrem Versprechen, die Stromsteuer für alle Betriebe zu senken, abgerückt. Was bedeutet das für die Gießerei-Industrie?
Christian Schimansky: Steuern sind nur ein Teil der Strom- und Brennstoffrechnung – und auch nicht der größte. Da die Betriebe die Möglichkeit haben, Steuersenkungen zu beantragen, ist die Absenkung der deutschen Energiesteuer auf das europäische Mindestmaß nichts anderes als die Erhaltung des Status Quo. Wesentlich schwieriger wäre es, wenn die Bundesregierung auch ihre Versprechen bricht, die Netzentgelte zu deckeln und einen wirksamen Industriestrompreis einzuführen.
Die Elektrifizierung gilt als technisch realisierbarer Königsweg – aber auch als teuerster. Welche Unterstützung müsste der Mittelstand bekommen, damit Investitionen nicht ausgebremst werden?
Elke Radtke: Aufgrund der hohen Stromkosten rechnen sich Maßnahmen zum Wechsel von fossilen Energieträgern auf Strom aktuell nicht. Zum Beispiel sind die koksbefeuerten, kontinuierlich arbeitenden Heißwindkupolöfen der großen Seriengießereien extrem effizient und wirtschaftlich. Ein solcher Kupolofen müsste durch mehrere mit Strom betriebene Induktionstiegelöfen ersetzt werden, um die gleiche Schmelzkapazität zu realisieren. Durch die Kosten für Neuinstallation sowie für elektrische Energie würden die Gussprodukte in der Herstellung wesentlich teurer – die Mehrkosten können aber nicht an den Kunden weitergereicht werden. Deshalb wäre es sinnvoll, für Anlagen der Prozesswärmeerzeugung eine Förderung aufzulegen, welche Investitionskosten (CAPEX) und Betriebsausgaben (OPEX) umfasst. Diese – gegebenenfalls temporären – Transformationszuschüsse könnten tatsächlich Drive in Planung und Umsetzung bringen.
Die Politik setzt verstärkt auf Wasserstoff. Das Wasserstoffbeschleunigungsgesetz bringt Erleichterungen. Ist das für Gießereien eine gute Perspektive?
Christian Schimansky: Langfristig kann Wasserstoff als Substitut für Erdgas tatsächlich genau das sein: eine gute Perspektive. Bis dahin liegt jedoch noch viel Forschung und der Ausbau der Infrastruktur vor uns. Der Forschungsbedarf resultiert aus der Tatsache, dass zum Beispiel noch nicht hinreichend geklärt ist, wie sich Wasserstoff auf die metallischen Werkstoffe und die Feuerfestmaterialien in den Schmelzanlagen auswirkt. Zudem befinden sich die Standorte von Gießereien weit entfernt vom geplanten Wasserstoffkernnetz. Aus diesem Grund könnten mittel- und langfristig dezentrale Elektrolyseure eine interessante Option sein, die Wasserstoff aus überschüssiger erneuerbarer Energie erzeugen und zugleich eine Speicherfunktion erfüllen. Der im Ausland erzeugte und zu hohen Kosten importierte Wasserstoff wird vernünftigerweise primär der Grundstoffindustrie zur Verfügung stehen.

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Sie fordern in der Roadmap eine frühzeitige Einbindung der Gießereien in lokale Netzplanungen. Haben Sie den Eindruck, dass die Politik diese Notwendigkeit verstanden hat?
Elke Radtke: Es gibt Beispiele, in denen die lokale bzw. regionale Politik diesem Aspekt gegenüber aufgeschlossen ist – allerdings sind es die Verteilnetzbetreiber bzw. Energieversorger, welche die Infrastruktur letzten Endes realisieren müssen. Und da hakt es schlichtweg an der Finanzierung. Der Energieversorger liefert zwar gern den Strom, sieht sich aber nicht in der Verantwortung für den Bau der Zuleitung. Gießereien sind überwiegend außerhalb von Ballungsräumen angesiedelt – weit ab der nächsten Anschlussmöglichkeit an die industrielle Stromversorgung. Bei angenommenen Kosten von bis zu einer Million Euro pro Kilometer Stromleitung kommen dafür schnell sehr hohe Investitionsbeträge zusammen. Typischerweise ist die für die Transformation eines Anlagenstandortes notwendige Strominfrastruktur jedoch nicht Bestandteil von Förderprogrammen. Auch da besteht Anpassungsbedarf.
Wenn man die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen betrachtet: Wie groß ist Ihre Zuversicht, dass die Branche Treibhausgasneutralität bis 2045 erreichen kann?
Christian Schimansky: Es liegt in der DNA der typischen mittelständischen Gießerei, in langen Zeiträumen zu denken und schon aus diesem Grund nachhaltig zu handeln. Vielfach ist eine Gießerei der größte Arbeitgeber am Ort und engagiert sich auch sozial oder lokalpolitisch. Und: Gießer sind innovativ. Diese Mischung aus Verantwortungsbewusstsein und Zukunftsfähigkeit ist es, die uns zuversichtlich nach vorn sehen lässt. Die Transformation ist technisch lösbar. Wenn die politischen Rahmenbedingungen stimmen und sich das Marktumfeld wieder positiver gestaltet, werden unsere Unternehmen auch diese enorme Herausforderung meistern. Wir verstehen uns als Enabler der Transformation: ohne Gusskomponenten keine klimafreundliche Mobilität, keine Wind- und Wasserkraft, kein nachhaltiges Bauen. Wir wollen und werden den nachfolgenden Generationen eine lebenswerte Umwelt hinterlassen – ohne negativen Footprint.
Wenn Sie einem Gießereiunternehmen konkrete Schritte empfehlen, womit sollte er jetzt anfangen?
Elke Radtke: Die Basis ist die Identifizierung der CO2-intensiven Prozesse. Dies geschieht über die Bilanzierung des Carbon Footprints für das Unternehmen. Dafür haben wir das Tool FRED mitentwickelt, in welchem jede Gießerei die Prozesslandschaft ihres Standortes abbilden und damit die CO2-Emissionen sehr genau kalkulieren kann. Naturgemäß sind die Thermoprozesse in den Gießereien diejenigen, die einen großen Anteil des CO2-Fußabdrucks ausmachen. Bei den NE-Metall-Gießereien bringen zudem die verwendeten Primärmetalle einen großen „CO2-Rucksack“ mit. Mit FRED können nach dieser Hotspot-Analyse Maßnahmen zur Senkung des CO2-Ausstoßes simuliert werden – zum Beispiel der Umstieg von fossilen Energieträgern auf elektrischen Strom im Schmelzbetrieb oder wenn die Staplerflotte von Gas auf Batteriebetrieb umgestellt wird. Darauf basierend erfolgt dann die Erstellung eines Transformationsplans. In diesem wird festgelegt, in welchem Zeithorizont welche Schritte unternommen werden, um sich der Klimaneutralität anzunähern.
Elke Radtke ist Leiterin Umwelt- und Arbeitsschutz, Dr. Christian Schimansky ist Leiter Energie- und Umweltrecht beim Bundesverband der deutschen Gießerei-Industrie.
Weitere Informationen zur BDG-Roadmap sind hier zu finden: https://www.guss.de/projekte/roadmap