Interview: FRED macht klimaschädliche Prozesse im Unternehmen sichtbar
07.03.2024 Nachhaltigkeit & CO2-Neutralität Interview

Interview: FRED macht klimaschädliche Prozesse im Unternehmen sichtbar

FRED heißt das webbasierte Kalkulationstool, mit dessen Hilfe Gießereibetriebe ihren CO2-Fußabdruck kalkulieren und eine eigene Dekarbonisierungsstrategie entwickeln können. Der Bundesverband der Deutschen Gießerei-Industrie hat es mitentwickelt und fördert dessen Einsatz und Verbreitung. Wir sprachen mit Elke Radtke, Referentin für Umwelt- und Arbeitsschutz beim BDG, über das Thema.

Elke Radtke Elke Radtke, Referentin für Umwelt- und Arbeitsschutz beim BDG, Ansprechpartnerin beim BDG für FRED und überzeugte Promoterin des Tools.

Gießereien müssen ihren Kunden gerade aus der Automobilindustrie immer häufiger die Frage beantworten, welcher CO2-Footprint in einem gelieferten Gussteil steckt. Wer hier keine Auskunft geben kann, wird unter Umständen nicht mehr als Lieferant berücksichtigt. Der BDG möchte, dass die Unternehmen der Gussbranche belastbare Aussagen treffen können. Er hat daher die Entwicklung eines Tools vorangetrieben, das die Betriebe in die Lage versetzt, mit relativ einfachen Mitteln den CO2-Fußabdruck ihrer Produkte zu ermitteln – gießereispezifisch und nach anerkannten internationalen Standards. 

Mit dem Footprint Reduction Tool, kurz FRED, können Gießereien ihren CO2-Fußabdruck nicht nur berechnen, sondern auch verringern. Von Elke Radtke, Ansprechpartnerin beim BDG für FRED und überzeugte Promoterin des Tools, wollten wir wissen, welche Erfahrungen damit bisher gemacht wurden und wo die Gießereiindustrie auf ihrem Weg zur Klimaneutralität aktuell steht. 

Frau Radtke, was sind die größten Irrtümer, denen Gießereibetriebe in Bezug auf ihren eigenen CO2-Fußabdruck unterliegen? Welche Faktoren werden üblicherweise über-, welche unterschätzt?

Radtke: Das ist eine gute Frage, denn tatsächlich gibt es diese Fehleinschätzungen hinsichtlich der Wirksamkeit von Maßnahmen zum Klimaschutz in den Unternehmen. Der Klassiker: Eine Gießerei betreibt elektrische Schmelzaggregate und ist der Meinung, dass sie mit einer Umstellung dieser Öfen auf Grünstrom klimatechnisch aus dem Schneider ist. Grundsätzlich bietet solch ein Switch einen großen Hebel zur Senkung der indirekten CO2-Emissionen. Aber: In fast allen Gießereien wird auch Erdgas eingesetzt, zum Beispiel für die Pfannenvorwärmung oder Kerntrocknung. Das sind zum Teil nicht unerhebliche Mengen, die klimarelevante Auswirkungen haben. Letztlich können diese zum Beispiel über eine Elektrifizierung vermieden werden – vorausgesetzt, der verwendete Strom stammt dann ebenfalls aus erneuerbaren Quellen.

Ein weiterer unterschätzter Faktor ist – insbesondere bei NE-Metall-Gießereien – die Herkunft des metallischen Werkstoffes. Wird beispielsweise primäres Aluminium vergossen, kann dessen Beitrag zum gesamten Fußabdruck des Unternehmens um ein Vielfaches höher sein als der aus dem eigenen Energieverbrauch. Das Primärmaterial bringt einen großen CO2-Rucksack aus seiner aufwändigen Gewinnung einfach schon mit ins Unternehmen. Einzige Lösung zur Minderung dieser klimaschädlichen Emissionen ist der Einsatz von Sekundärmaterial. Problem ist hierbei, dass der Weltmarkt noch nicht genug davon hergibt. Aluminium ist ein relativ junges Metall. Hier etabliert sich erst langsam ein Rück- und damit Kreislauf, denn vieles ist schlichtweg noch verbaut oder sonstwie in Gebrauch. 

Das Kalkulationstool FRED auf dem Laptop.
FRED ermittelt den CO2-Abdruck von Produkten und Unternehmen. 

Können solche Fehleinschätzungen bei der Verwendung von FRED aufgedeckt werden?

Radtke: Ja, absolut. Erst kürzlich hatten wir ein solches Beispiel, da ging es um eine Magnesium-Druckgießerei. Auch hier hat der hohe Anteil an Primärmaterial die ganze CO2-Bilanz verhagelt.

In jedem Fall macht FRED jene Prozesse in einer Gießerei sichtbar, die entweder durch einen hohen Energieeinsatz – vielleicht sogar durch fossile Brennstoffe – oder durch die Verwendung CO2-intensiver Roh- und Hilfsstoffe zum Footprint des Unternehmens oder eines bestimmten Gussproduktes beitragen.

Wie weit ist die Branche in Deutschland aktuell in Sachen Umweltschutz? Stehen wir erst am Anfang des Wegs zur CO2-Neutralität?

Radtke: Nein, die Branche hat sich längst auf den Weg gemacht. Seit über zehn Jahren bieten wir zum Beispiel in unserer Online-Datenbank „Energieeffizienter Gießereibetrieb 2.0“ eine mittlerweile recht umfangreiche Sammlung von Best-Practice-Beispielen zur Senkung der Energieverbräuche an. Gießereien können hier Inspiration und Ideen zur Ableitung eigener Maßnahmen schöpfen.

Zudem haben wir mit der Deutschen Energie-Agentur (dena) ein Leuchtturm-Projekt zur CO2-Minderung in der Branche durchgeführt. Sichtbarstes Ergebnis ist der Leitfaden „Systematisch Energieeffizienz steigern und CO2-Emissionen senken in der Gießerei-Industrie“. Ein absolut lohnenswertes Nachschlagewerk für alle Energie- und Nachhaltigkeitsmanager in Gießereien.

Im letzten Jahr dann haben wir als Verband ein sehr umfassendes Projekt abgeschlossen, in dem es unter anderem darum ging, geeignete technologische Lösungen für Gießereien zur Erreichung der Klimaziele zu identifizieren. Dieses Projekt „InnoGuss“ bezog sich zwar nur auf das Bundesland Nordrhein-Westfalen – hier aber ist etwa ein Viertel der deutschen Gussproduktion konzentriert. Das erlaubt es uns, aus den Ergebnissen von InnoGuss auf die gesamte Branche in Deutschland zu skalieren. Das Projekt hatte eine Laufzeit von über zwei Jahren – da kam eine Menge an Zahlen, Daten und Fakten über die Gießereien zusammen. 

Im Übrigen gibt es kaum zwei direkt miteinander vergleichbare Betriebe. Gießereien sind höchst divers in ihren eingesetzten Verfahren, Werkstoffen, Energien, Fertigungstiefen, Produktionsmengen etc. Deshalb haben wir uns mit der Definition von sechs Gießerei-Typen, sogenannten Modellgießereien, beholfen und für diese ermittelt, unter welchen Voraussetzungen sie klimaneutral werden können. 

Wenig überraschend ist die Elektrifizierung der thermischen Prozesse der Königsweg zur Dekarbonisierung. Zumal hier bereits viele strombetriebene Anlagen verfügbar bzw. Stand der Technik sind. Anders sieht es bei den anderen drei im Projekt betrachteten Technologiepfaden Wasserstoff, biogene Brennstoffe und CCU, also der Abscheidung und Nutzung von CO2, aus. Hier ist vielfach noch Forschung und Entwicklung erforderlich, um diese Lösungen zur technologischen Reife und Anwendbarkeit in Gießereien zu bringen.

Die Resultate aus dem Projekt InnoGuss werden wir im Laufe dieses Jahres in eine Roadmap zur Klimaneutralität für die gesamte Branche gießen. Dieses Papier wird einerseits Orientierung und einen Leitfaden für unsere Unternehmen bieten, sich klimaneutral aufzustellen. Gegenüber unseren externen Stakeholdern, wie zum Beispiel Politikern, Investoren und Kunden, wird die Roadmap klar signalisieren, dass wir einen Plan für die Erreichung der Klimaziele haben. 

FRED, der Carbon Footprint Calculator für die Zulieferindustrie, ermittelt den CO2-Abdruck der Produkte und des Unternehmens. Die Basis bilden Daten aus echten Industriebetrieben. Zertifiziert nach ISO 14067 und Greenhouse Gas Protocol.

Mit FRED bietet der BDG jetzt einfachen Zugang zu einem Analysetool. Sind Sie zufrieden mit der bisherigen Beteiligung und dem Engagement auf Seiten der Betriebe?

Radtke: Ganz ehrlich? Ich glaube, da geht noch was. Man muss sich allerdings in ein Umfeld hineindenken, das mit der täglichen Gussproduktion vordergründig mal gar nix zu tun hat. Ich verstehe, dass es dafür in vielen unserer mittelständischen Betriebe kaum Zeit und Muße gibt. Andererseits bietet die Befassung mit FRED enorm viel Potenzial zur Optimierung der eigenen Prozesse. Und zwar systematisches, strukturiertes Potenzial. 

Deshalb nutzen wir im Moment alle möglichen Gelegenheiten und medialen Kanäle, um die Funktionalität und den Benefit von FRED in der Branche bekannt zu machen. Aus diesem Grund waren wir auch mit einem Vortrag zu FRED auf der EUROGUSS präsent.

Je mehr Unternehmen FRED nutzen, umso besser kann es gelingen, das Tool bei unseren Kunden als das CO2-Bilanzierungs-Tool der Zuliefer-Industrie zu etablieren. Denn mit uns sind weitere elf Verbände auf diesem Weg. Ein „sauberes Dutzend“ also…

Welche Resonanz haben Sie erhalten? Haben Sie schon Dankschreiben von Unternehmen bekommen, die mit FRED Einsparpotenziale heben konnten?

Radtke: Wir sehen mit Freude, dass die Anzahl der gekauften Lizenzen stetig steigt und die 14-tägigen Live-Demos zunehmend gut besucht sind. Und tatsächlich konnte eine Gießerei die dringende Anforderung eines namhaften Kunden nach einem produktbezogenen Footprint für das gelieferte Gussprodukt mit Hilfe der Demo-Version ad-hoc befriedigen und war sehr glücklich darüber. 

Das dürfte im Moment der überwiegende Anlass für viele Betriebe sein, sich mit FRED zu befassen. Die Einsparpotenziale ergeben sich quasi nebenbei. Wenn wir uns nächsten Jahr um diese Zeit wieder unterhalten, kann ich Ihnen bestimmt weitere Erfolgsstories berichten.

Vielen Dank für das Gespräch!

Weitere Informationen zu FRED, die Möglichkeit zur Registrierung für eine Live-Demonstration etc. gibt es hier: www.fred-footprint.de
Nachrichtensymbole auf einem Smartphone.

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