„Wenn ich was nicht heben kann, hol‘ ich mir den Kran“
26.09.2023 Nachwuchskräfte Interview

„Wenn ich was nicht heben kann, hol‘ ich mir den Kran“

Alice Jung ist Werkzeugmechanikerin – und Bürokauffrau. Vor etwa 15 Jahren machte sie eine Ausbildung im Formenbau im väterlichen Betrieb Formenbau Jürgen Jung GmbH. Danach hat Jung einige Zeit im Beruf gearbeitet, wenn auch in einem anderen Betrieb. Ihr Weg hat sie schlussendlich wieder zurückgeführt – zum Teil zumindest.

Alice Jung

Werkzeugmechanikerin und Bürokauffrau – wie kommt diese Mischung zu Stande?

Alice Jung: Ich war schon immer von Technik umgeben. Mein Vater ist mit seinem eigenen Betrieb ein sehr großes Vorbild für mich. Mein Großvater war Maschinenbauingenieur. Für mich war einfach schon immer klar: Das will ich auch. Ich wollte keinen klassischen „Schreibtischjob“ und habe im elterlichen Betrieb die Ausbildung zur Werkzeugmechanikerin gemacht. Jetzt bin ich doch zum Teil am Schreibtisch, aber das ist eine andere Geschichte.

Wie sah deine Ausbildung aus?

Alice: Ich war im klassischen Formenbau, also Druckguss- und Spritzgussformen. Ich habe alles gemacht: Drehen, fräßen, bohren, schleifen– auf einer Maschine und per Hand. Damals war alles sehr manuell. Und ich habe für mein Leben gerne erodiert. Ich hatte schnell den Spitznamen „Erodier Queen“.

Ich habe beispielsweise für ein bekanntes Motorrad den Schriftzug in das Getriebegehäuse gesetzt und das Modell irgendwann zufällig auf der Straße gesehen. Mir war schon klar, dass es von einer anderen Druckgussform stammen könnte, aber darum ging es nicht. Ich wusste, dass ich diesen Schriftzug erodiert habe. Das steht da, weil ich es richtig gemacht habe. Da war ich wirklich stolz drauf. 

Du warst die einzige Frau im Betrieb. War das damals Thema?

Alice: Früher habe ich mir selbst nicht so die Gedanken über das Geschlechterverhältnis gemacht, aber ich glaube, traditionelle Denkweisen spielen eine wirklich große Rolle. Die Ausbildung an sich war hart, sehr hart. Es gab Momente, an denen hat man an sich gezweifelt. Ich glaube aber nicht, dass das etwas mit männlich oder weiblich zu tun hat. Meine männlichen Kollegen haben sicherlich auch gezweifelt, aber vielleicht an anderen Punkten.

Was hat dich motiviert, weiterzumachen?

Alice: Ich muss ehrlich sagen, dass ich sehr viel Unterstützung bekommen habe, auch von den anderen Azubis. Man hat sich ganz selbstverständlich gegenseitig geholfen. Bei meiner Zwischenprüfung mussten wir eine kleine Vorrichtung bauen und mir haben Schrauben gefehlt. Ohne die war die Funktion nicht gegeben. Das ist Endstation, durchgefallen.

Ein anderer Azubi hat mich fluchen gehört und nach kurzem Hin und Her hat er mir Schrauben rüber geschmissen, ohne dass ich es aussprechen musste. Ich habe sie gefangen, rangemacht und zack: Funktion gegeben. Ich kriege heute noch Gänsehaut, wenn ich darüber rede, weil es einfach ein schöner Moment war. Und genau so war es in der ganzen Ausbildung. Ich hätte gerne schon vorher gewusst, dass der Zusammenhalt so stark ist.

Gibt es noch etwas, dass du gerne vorher schon gewusst hättest?

Alice: Ich war mir eigentlich schon klar, aber dennoch: Der Ton ist grob. Das ist kein Blumenpflücken. Und umso größer der Stress ist, umso gröber kann es werden. Das ist nie gegen einen persönlich gerichtet. Wenn die Situation rum ist, dann trinkt man witzelnd sein Feierabendbier.

Ich muss aber auch ehrlich sagen, dass ich durch diese Situationen gewusst habe, dass ich Teil der Sache bin. Einfach, weil die Kollegen mit mir gesprochen haben, wie mit jedem anderen in der Werkstatt auch. Ich wollte nie eine Extrawurst oder mich auf mein Geschlecht begrenzen lassen. Und das ist auch nicht passiert.

Alice Jung in Aktion

Frauen sind in der Werkzeugtechnik Männern unterlegen, stimmt das?

Alice: Nein, gar nicht. Körperlich sowieso nicht, weil dann hole ich mir einfach eine Verlängerung und kriege die Schraube auch so festgezogen. Die ist dann fester dran, als es je ein Kollege mit Muskelkraft hinbekommt. Und wenn ich was nicht gehoben bekomme, dann hole ich mir eben den Kran. Dieses Gefühl danach, etwas überwunden oder geschafft zu haben, kann dir halt auch keiner nehmen.

Mein Ausbilder in der Lehrwerkstatt hat immer zu mir gesagt: Ganz ehrlich, wer soll denn an dich glauben, wenn du es noch nicht einmal selbst kannst? Daran musste ich in schwierigen Momenten oft denken.

Was hätte dir in deiner Ausbildung geholfen?

Alice: Einfach ein stärkeres Bewusstsein dafür, dass die Unternehmen Mädels im Betrieb wollen. Die Rolle muss auch der Ausbilder oder Berufsschullehrer übernehmen. Dass man dieser „weiblichen Energie“ einfach den Raum schafft und das kommuniziert. Man sollte solche Dinge einfach mehr normalisieren, denn das ist normal. Jeder, der was anderes sagt, lebt im falschen Zeitalter.

Wie schafft man Bewusstsein?

Alice: Diesen Artikel zum Beispiel werden vor allem die lesen, die schon in der Branche sind. Vielleicht auch jemand, der den Artikel braucht – aber wahrscheinlich nicht zum richtigen Zeitpunkt. Mit dem richtigen Netzwerk könnte man diese Personen viel gezielter abholen, sie ermutigen oder ihnen auch einfach das Angebot machen, dass man ihnen zuhört und die eigenen Erfahrungen mit ihnen teilt.

Was sagst du Mädchen, die sich für technische Berufe interessieren?

Alice: Wenn du etwas willst, egal wer oder was du bist, dann gehst du da raus und dann nimmst du dir das. Das hat alles mit ein bisschen Mut zu tun, aber definitiv nicht damit, als was du dich definierst. Schlechte Nachricht: Du wirst bei jedem ersten Mal nicht perfekt sein. Und lass dich nicht irritieren, wenn der Ton mal ein bisschen gröber ist. Das ist zwei Minuten später sowieso vergessen. 

Hast du auch eine Botschaft an die Unternehmen und Betriebe?

Alice: Kommuniziert eure Akzeptanz. Ohne große Ressourcen aufzuwenden, kann jedes Unternehmen ganz klar sagen: „Wir wollen dich hier. Das, was du nicht kannst, das können wir und bringen es dir bei.“ Wichtig ist, dass die Absichten ehrlich sind. Seid ansonsten einfach offen – ihr verlangt das ja auch von den Mädels.

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