Endlich heiß!
11.01.2022 Technologien & Prozesse News

Endlich heiß!

Standard Werkzeugstahl H11/H13 (1.2343/ 1344) kann jetzt prozesssicher im Metall-3D-Druck hergestellt werden. Das eröffnet der Werkzeug- und Formbauindustrie ganz neue Möglichkeiten.

500 Grad Vorheizen

Seit über fünf Jahren unterstütze ich Unternehmen bei der Einführung konturnaher Kühlung durch den Metall-3D-Druck. Doch obwohl bekannt war, dass eigentlich nur Werkzeugeinsätze aus 1.2709 standardmäßig im Metall-3D-Druck hergestellt werden können, war auf fast allen Messen, Vorträgen oder Werkzeugbauevents, immer die erste Frage: „Könnt ihr auch den Stahl H11/H13 im Metall-3D-Druck herstellen?“ Endlich kann ich mit „ja“ antworten.

Bisher hatte der höhere Kohlenstoffgehalt ein prozesssicheres Herstellen von Bauteilen dieser Materialien im Metall-3D-Druck verhindert. Doch durch eine Erwärmung der Substratplatte auf 500 Grad Celsius können genau diese Materialien prozesssicher gedruckt werden. 

Bisher war eine Vorwärmung von 200 Grad Celsius der industrielle Standard im metallischen 3D-Druck. Dies war ein Kompromiss: Das Vorheizen induziert weniger Eigenspannungen. Andererseits hat es den Nachteil, dass es das Pulverrecycling erschwert aufgrund der längeren Abkühlzeit.

 

Kein Kompromiss mehr nötig

Der Metall-3D-Druck im Pulverbett hat sich in den letzten 15 Jahren zum erfolgreichsten, industriellen Additivverfahren für Metalle entwickelt. Mit der allmählichen Etablierung in der Serienproduktion steigen jedoch auch die Anforderungen der Industrieunternehmen an das Verfahren. Neben dem allgemeinen Wunsch nach kürzeren Produktionszeiten werden vor allem eine höhere Bauteilqualität und eine zuverlässige Erstproduktion gefordert - auch komplexe Teile sollen daher von Anfang an ohne Annäherungsversuche gelingen. 

Mit der neuen TruPrint 5000 der Firma TRUMPF in Ditzingen, braucht es den oben genannten Kompromiss zwischen weniger Eigenspannung und Recycelbarkeit nicht mehr. Diese Maschine wurde von Beginn an für die 500 °C Anwendung konzipiert und entwickelt, so dass sie die notwendige Prozessstabilität auch bei kohlestoffhaltigen Stählen einhalten kann.

Versuche bei TRUMPF konnten bestätigen, dass sich dank der 500-Grad-Vorwärmung die hochkohlenstoffhaltigen Legierungen wie H11 (1.2343) und H13 (1.2344) mit dem Metall-3D-Druck wirklich prozesssicher verarbeiten lassen. Dies ist vor allem für den Werkzeug- und Formenbau interessant, da diese Branche bevorzugt diese Stähle einsetzt und einen besonders großen Nutzen ziehen kann.
Im Folgenden möchte ich aufzeigen, wie durch das 500-Grad-Vorwärmen mit dem 3D-Druck im Pulverbett erstmals auch kohlenstoffreiche Legierungen zuverlässig verarbeitet werden können.

Weiter möchte ich beschreiben, wie die Vorwärmtechnik so in den Fertigungsprozess integriert werden kann, dass eine maximale Auslastung des Metall-3D-Druckers erreicht wird und - trotz der hohen Temperaturen - das Restpulver problemlos recycelt werden kann. 

 
Tabelle, die das Verhältnis zwischen vorheizen und Verbiegung zeigt 500-Grad-Celsius-Vorwärmung reduziert die Durchbiegung um etwa 95 Prozent (gemessen am Ausleger) im Vergleich zum Industriestandard 200 Grad Celsius.

So wirkt die Vorheizung

Eigenspannungen und Verzug bei dem Metall-3D-Druck mit kohlenstoffhaltigen Stählen sind immer ein Thema, vor allem bei der Herstellung großer, hochvolumiger Bauteile. Insbesondere bei großen Sprüngen im Querschnitt der Geometrie (Volumensprüngen), treten starke Temperaturunterschiede und damit eine ungleichmäßige Wärmeabgabe auf. Dies führt zu thermisch induzierten Eigenspannungen im Bauteil: Es besteht die Gefahr, dass sich das Bauteil verzieht. Während des Metall-3D-Druck-Prozesses oder danach es sich delaminiert (sich also durch Wölbung oder Abheben von der Trägerplatte löst) und manchmal sogar Risse aufweist.

Ein wirksames Gegenmittel ist, die Oberseite der Substratplatte während des gesamten Bauprozesses auf einer Temperatur von 500 Grad Celsius zu halten. Durch die erhöhte Vorwärmtemperatur werden zum einen die thermischen Gradienten, also die Temperaturabfälle und -erhöhungen zum Beispiel an den Rändern, reduziert. Zum anderen wird die Streckgrenze gesenkt. Die Kombination dieser beiden Faktoren führt dazu, dass die Eigenspannungen bereits während der additiven Fertigung reduziert werden.

 
Grafik dazu, wie vorheizen Durchbiegung reduziert Das Vorheizen der Substratplatte auf 500 Grad Celsius reduziert die Durchbiegung des Ti64-Cantilevers um 95 Prozent (oben) im Vergleich zu 200 Grad Celsius (unten).

Studien haben gezeigt, dass die 500-Grad-Celsius-Vorwärmung in Metall-3D-Druck die Durchbiegung um 95 Prozent reduziert, verglichen mit dem derzeitigen Industriestandard von 200-Grad-Celsius-Vorwärmungen. Die geringere thermische Belastung erhöht damit die Geometriegenauigkeit und das hat positive Auswirkungen, sowohl vor als auch nach dem Druckprozess: In der Konstruktionsphase entfallen viele Stützstrukturen und Simulationsschritte, die bisher nötig waren, um Verformungen, Delaminationen und Risse zu verhindern. Das erhöht die Designfreiheit der Teile und reduziert in der Folge auch den Nachbearbeitungsaufwand, da weniger Stützen entfernt werden müssen.

Die Vorteile der 500-Grad-Celsius-Vorwärmung gelten für alle Teilegeometrien: Obwohl die Wärmeverteilung im Bauteil je nach Teilegeometrie unterschiedlich ist, konnte TRUMPF in Tests zeigen, dass die Hochtemperaturbearbeitung in allen Fällen die gleichen Auswirkungen hat. 

Reduzierung von Eigenspannungen durch Vorheizen Wird ein Bauteil mit einer Vorwärmung von 500 Grad Celsius 3D-gedruckt, werden die Eigenspannungen im Ti6AI4V-Bauteil deutlich reduziert (oben). Das eröffnet völlig neue Möglichkeiten in der Konstruktion, vor allem bei der Herstellung massiverer Bauteile mit Volumensprüngen. Bei 200 Grad Celsius sind die Eigenspannungen deutlich höher (unten). Dies führt zu einem höheren Vorbereitungs- und Nachbearbeitungsaufwand, da mehr Simulationen und Stützkonstruktionen erforderlich sind

Anwendung im Werkzeug- und Formenbau

Die vielen Vorteile bei der Herstellung von Werkzeugen oder Formeinsätzen im Metall-3D-Druck sind weitgehend bekannt: Oft ist es das einzig mögliche Verfahren für solche Aufgaben, insbesondere um komplexe Kühlkanäle einzubauen, die die Kühleigenschaften der Werkzeuge und Formen verbessern. Doch bisher gab es ein Problem: Die Industrie bevorzugt Kohlenstoffstähle, weil sie verschleißfest und polierfähig sind. Wird H11/H13 mit einer Vorwärmung von 200 Grad Celsius bedruckt, wie es bisher üblich ist, bildet sich während der kurzen Abkühlphase harter und spröder Martensit. In der Folge bilden sich häufig Risse im Bauteil. Viele Bauteile aus H11/H13 ließen sich daher nur mit großem Aufwand und damit unrentabel drucken.

Die 500-Grad-Celsius-Vorwärmung hebt diese Einschränkung auf. Die höhere Grundtemperatur verlangsamt den Abkühlungsprozess, macht ihn sanfter und verhindert so die Bildung von unerwünschtem Martensit. Mikroskopische Untersuchungen zeigten, dass 3D-gedruckte H11/H13 -Bauteile eine Dichte von bis zu 99,99 Prozent aufweisen. Auch in der Festigkeit und Härte kommen sie konventionell hergestellten H11/H13 -Bauteilen nahe. Auch bei der Polierbarkeit gibt es keinen Unterschied.

Eine Vorwärmung von 500 Grad Celsius ermöglicht es nun, H11/H13 prozesssicher zu drucken und die Teile ohne große Probleme weiterzuverarbeiten.

 
Rissbildung und Rissfreiheit Links: Rissbildung in 1.2343 und 200-Grad-Celsius-Vorwärmung. Rechts: Rissfrei bei 500 Grad Celsius. In einem nachgeschalteten Schritt können verbleibende kleine Defekte durch Glühen korrigiert werden

Hohe Maschinenverfügbarkeit und Pulverrecycling

Höhere Vorwärmung bedeutet auch eine längere Kühlphase am Ende des Bauauftrags - je nach Volumen des Bauteils bis zu 20 Stunden. Ein geeignetes Gesamtkonzept kann jedoch verhindern, dass dies zu langen Maschinenstillständen führt. 

Bei der TruPrint 5000 setzt TRUMPF auf das bewährte Wechselzylinderprinzip, das bis zu 500 Grad Celsius fähig ist. Der additive Prozess findet in einem austauschbaren Bauzylinder statt. Ist der 3D-Druckprozess abgeschlossen, wird der Bauzylinder in eine separate Abkühlstation gefahren. Die Maschine kann sofort mit einem neuen Bauzylinder (und bei Bedarf mit einem vollen Pulvervorratszylinder) bestückt werden und ohne Unterbrechung den nächsten Bauauftrag ausführen, während der vorherige Bauauftrag extern abkühlt.

 
Hochglanzpolierter Kern von H11 gedruckt bei 500 Grad Celsius Hochglanzpolierter Kern von H11 gedruckt bei 500 Grad Celsius des Kunststoffspritzgussbetriebes Reinhard Bretthauer GmbH: Das Bauteil ist rissfrei und hat eine Dichte von mehr als 99,9 Prozent. Entsprechend hoch ist die Polierbarkeit - ein Unterschied zur konventionellen Fertigung ist nicht zu erkennen. Durch die integrierten Kühlkanäle konnte eine stabile Produktion von Kunststoffteilen im Spritzguss erfolgen und die Zykluszeit deutlich reduziert werden

Ein weiterer möglicher Nachteil der 500-Grad-Celsius-Vorwärmung könnte die schlechtere Recyclierbarkeit des Pulvers sein: Da eine höhere Temperatur zu einer stärkeren Oxidation führt, könnte dies die Recyclierbarkeit von H11-Pulvern verringern. Auch hierfür konnte TRUMPF eine Gegenstrategie entwickeln und deren Wirksamkeit nachweisen.

Sowohl die Prozesskammer als auch die Wechselbehälter werden vor Produktionsbeginn mit Argon geflutet. Dadurch entsteht eine Systematmosphäre mit geringer Restfeuchte und einem Restsauerstoffgehalt auf einem sehr niedrigen Niveau von wenigen ppm. Bei Kompressionstests mit H11 zeigten chemische Untersuchungen, dass das Pulver auch nach mehreren Bauzyklen den gleichen Sauerstoffgehalt wie Neupulver aufwies: Aufgrund der geringen Oxidation blieb das Pulver sehr frei fließend, und die Partikel hafteten nicht aneinander. Das Pulver konnte daher leicht und rückstandsfrei z. B. aus Kühlkanälen entfernt werden.

 

Fazit

Die 500-Grad-Celsius-Vorwärmung für den Metall-3D-Druck Prozess erhöht die Bauteilqualität aber auch die Gestaltungsfreiheit. Zudem reduziert es die Nachbearbeitung - getreu dem Motto "first time right". Mit der Vorwärmung werden kohlenstoffhaltige Werkzeugstähle erstmals zuverlässig druckbar. Auswechselbare Bauzylinder sorgen für eine hohe Maschinenverfügbarkeit trotz längerer Abkühlzeiten am Ende des Bauauftrags, das Recycling und die Fließfähigkeit des Pulvers werden durch die Hochtemperaturverarbeitung nicht wesentlich verändert.

Diese Ergebnisse für Werkzeugstähle und Titanlegierungen sind erst der Anfang. TRUMPF und seine Kunden arbeiten bereits an den nächsten Werkstoffen und Bauteilen, die von einer Vorwärmung auf 500 Grad Celsius profitieren oder erstmals auf diese Weise bearbeitet werden können. 

 
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Autor

Christoph Dörr