• 29.04.2025
  • Fachbericht

Pokerspiel mit Folgen: Was US-Zölle für die Gießereiindustrie bedeuten

Die deutsche und europäische Gießereiindustrie steht vor neuen Herausforderungen, seitdem die US-Regierung Importzölle auf Aluminium und Stahl eingeführt (und wieder ausgesetzt) hat. Doch wie stark sind die tatsächlichen Auswirkungen der Tarifierung, sollte sie kommen? Die Antwort darauf ist differenziert, hat EUROGUSS 365 vom Bundesverband der Deutschen Gießerei-Industrie erfahren.

Hand mit Pokerkarten neben einem Stapel von Pokerchips

Rund 12 Milliarden Euro Umsatz erzielt die Gießereiindustrie in Deutschland, davon etwa zehn Prozent im Außenhandel mit den USA. Der Wert der tatsächlich direkt vom Zoll betroffenen Exporte beläuft sich auf rund 228 Millionen Euro. Das entspricht weniger als zwei Prozent des Gesamtumsatzes der Branche.

Johannes Kappes
Johannes Kappes, Referatsleiter Rohstoffe beim BDG

Direkte Auswirkungen: vergleichsweise kleiner Markt


Der Grund: Die USA sind für deutsche Gießereien ein wichtiger, aber keineswegs der zentrale Exportmarkt. Der Großteil der Gusserzeugnisse bleibt im deutschen oder europäischen Binnenmarkt: „Das Hauptgeschäft der meisten Gießereien liegt nicht in den USA. Viele Gießereien bedienen spezialisierte Nischenmärkte und besitzen eine breite Kundenbasis, wodurch das Risiko einzelner Handelsbarrieren abgefedert wird“, erklärt Johannes Kappes, Referatsleiter Rohstoffe beim BDG im Gespräch mit EUROGUSS 365. 
Gerade im automobilnahen Geschäft zeigt sich eine wichtige Differenzierung: Deutsche Hersteller exportieren meist Fahrzeuge der oberen Preisklasse in die USA – Fahrzeuge, bei denen eine Preiserhöhung durch Zölle die Nachfrage auf Sicht kaum schmälern dürfte. „Im Hochpreissegment – etwa bei einem Porsche oder einer Mercedes S-Klasse – wird der Aufpreis eher akzeptiert. Im Niedrigpreissegment hingegen ist die Wirkung massiv. Aber genau diese günstigen Modelle exportieren die deutschen Automobilhersteller ohnehin nur selten in die USA“, erläutert Kappes. Andere Hersteller nutzen Möglichkeiten, etwa über ihre Werke in Mexiko oder Kanada die Einfuhrzölle zu umgehen.

Indirekte Effekte: globaler Wettbewerbsdruck

Doch die eigentlichen Risiken für die Gussbranche liegen weniger im direkten Exportgeschäft, sondern in den indirekten Effekten.  Besonders gefährlich sind dabei die möglichen Verlagerungen von Produktions- und Handelsströmen: Steigende Zölle in den USA können dazu führen, dass immer mehr asiatische Hersteller alternative Absatzmärkte in Europa suchen. Johannes Kappes betont: „Die Zölle, die uns mit 10, 20, 25 Prozent belasten, das ist die eine Sache. Was uns perspektivisch mehr treffen wird, sind die Zölle von 125 bis 145 Prozent, die die USA gegen China erlassen haben.“ 


Die massiven Zölle auf chinesische Waren werden dazu führen, dass chinesische Produzenten ihre Produkte verstärkt nach Europa umleiten. Die Folge: Die europäischen Gießereien geraten von zwei Seiten unter Druck – durch das erschwerte US-Geschäft und wachsende Konkurrenz aus Fernost.
 

Unsicherheit als größtes Risiko


So bedeutsam die Diskussion um Zölle, Standorte und Rohstoffpreise auch ist – am meisten belastet die Branche nach Einschätzung des BDG derzeit die Unsicherheit über die weitere Entwicklung. Viele Fragen bleiben offen: Werden die US-Zölle Bestand haben? Kommt es zu weiteren Verschärfungen? Wie reagiert die EU, und wie werden sich die globalen Stoffströme verändern? Die jüngsten Erfahrungen mit Pandemie und Krieg haben die Branche zwar krisenfester gemacht, doch viele Unternehmen agieren zunehmend vorsichtig.


„Planungssicherheit haben wir in gar keiner Hinsicht mehr“, betont Kappes. Die Nervosität in den Betrieben sei spürbar gestiegen. Gerade die Unklarheit über künftige politische Entscheidungen, kurzfristige Preisbewegungen und mögliche Engpässe bei Rohstoffen lässt viele Unternehmen abwarten und bremst Investitionen.

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Rohstoffströme: Zahlen und Trends


Eine weitere Folge der Unsicherheit zeigt sich im Rohstoffmarkt. Die Verfügbarkeit von Primäraluminium bleibt in Deutschland trotz gestiegener Preise derzeit weitgehend stabil. Im Jahr 2024 wurden hierzulande rund 700.000 Tonnen Aluminium zu Gussprodukten verarbeitet, während die Produktion von Primäraluminium bei etwa 300.000 Tonnen lag. Der Bedarf wird zu einem großen Teil durch Importe gedeckt – vor allem aus Osteuropa, der Schweiz und den Niederlanden. 


Dynamisch zeigt sich der Markt für Aluminiumschrott: Im schlimmsten Fall könnten US-Unternehmen künftig Aluminiumschrott zu Höchstpreisen aus Europa abziehen, während die heimische Industrie leer ausgeht. „Aktuell gibt es zwei konkurrierende Meinungen dazu. Die Aluminiumschrott-Preise haben sich in den vergangenen Monaten fast verdoppelt“, so Kappes. Noch gebe es keine akuten Engpässe – aber das Risiko sei real.


Mit Blick auf eine langfristig stabile Versorgung arbeitet die EU an einer stärkeren Diversifizierung ihrer Rohstoffquellen. Strategische Partnerschaften mit klassischen Bauxit-Förderländern wie Australien, Indonesien und Guinea stehen auf der Agenda. In Australien beispielsweise laufen derzeit Verhandlungen über umfangreiche Rohstoffabkommen, um sich unabhängiger von einzelnen Lieferanten zu machen.

Angemessene Reaktion der EU

Wie soll Europa auf den Zollpoker reagieren? Kappes begrüßt das abgestufte und koordinierte Vorgehen der EU. „Die Gegenmaßnahmen der EU sind aktuell richtig. Es wurde abgewägt und die Maßnahmen wurden in zwei Schritten live gesetzt“, sagt er. Ein „Wettlauf der Zölle“ sei für niemanden auf Dauer von Vorteil. Sein Appell an die Politik ist klar: „Wir müssen funktionierende transatlantische Beziehungen haben. Es kann nicht sein, dass wir einen Zollkrieg haben. Wir brauchen langfristig den Abbau der Zölle.“

Die deutschen und europäischen Gießereien stehen aktuell zwar nicht im Epizentrum des Handelskonflikts, doch die Dynamik der globalen Märkte und die politische Unsicherheit erhöhen den Anpassungsdruck enorm. Direkt sind die Auswirkungen der US-Zölle noch überschaubar – aber der gefährlichste Gegner bleibt die Unsicherheit. „Das Positivste ist, dass wir nicht zu extremen Prozentsätzen mit Direktgeschäften in den USA belastet sind“, resümiert Kappes, „aber die fehlende Planbarkeit ist ein Problem, das alle betrifft.“