- 07.08.2025
- Fachbericht
- Branche & Märkte
Strukturwandel lässt Rettungsquoten aus Insolvenzen sinken
Die Gießereibranche steht unter Druck. Getrieben von der Transformation der Automobilindustrie und globalen Verwerfungen ist die Zahl der Insolvenzen in Deutschland deutlich gestiegen, die Rettungsquote bei Gießereien aus den Vorjahres-Insolvenzen auf null gesunken. Ein Restrukturierungsexperte nennt aktuelle Zahlen und teilt seine Sicht auf Lage und Perspektiven.
Geschrieben von Editors EUROGUSS 365

Laut Erhebungen der Restrukturierungsberatung Falkensteg meldeten im ersten Halbjahr 2025 deutlich mehr Unternehmen der Gießereibranche Insolvenz an als im Vorjahreszeitraum. Die Zahl der betroffenen Betriebe hat sich hierzulande gegenüber 2024 fast verdreifacht. 16 Unternehmen mussten bis einschließlich Juni 2025 diesen Schritt gehen.
Auch für das Gesamtjahr ist keine Entspannung in Sicht: Es zeigt sich eine zunehmende Spreizung zwischen zukunftsfähigen Standorten und nicht wettbewerbsfähigen Betrieben, sagt Jonas Eckhardt, Partner bei Falkensteg, im Interview mit EUROGUSS 365.
Strukturelle Überkapazitäten
Die Ursachen liegen weniger in kurzfristigen Schocks als vielmehr in einem tiefgreifenden Strukturwandel. Die Rückgänge bei Auftragseingängen seien in vielen Fällen nicht konjunkturell, sondern dauerhaft, ist Eckhardt überzeugt:
„Wir haben einfach massive Überkapazitäten.“ Hintergrund ist der Wandel in der Automobilindustrie. Die Elektrifizierung reduziere den Bedarf an klassischen Gussteilen – etwa an Getriebegehäusen oder Motorkomponenten. Viele Unternehmen sehen sich mit sinkenden Abrufen konfrontiert.
Die Situation werde durch einen jahrzehntelangen Investitionsstau verschärft, erklärt der Experte. In vielen Gießereien wurde zuletzt kaum modernisiert – häufig, weil die Mittel aufgrund niedriger Margen fehlen. Heute erweist sich das als gravierender Nachteil: Veraltete Maschinenparks und ineffiziente Prozesse hemmten nicht nur die Produktivität, sondern auch die Bereitschaft potenzieller Investoren, in solche Betriebe einzusteigen.
Die Folge: Die Sanierungsfähigkeit sinkt.
„Früher konnten rund zwei Drittel der Unternehmen über alle Branchen hinweg aus der Insolvenz heraus gerettet werden. Heute liegt die Quote bei einem Drittel – im Guss-Segment ist sie noch deutlich niedriger“, sagt Eckhardt. Aktuell genau bei 0 Prozent. 2023 konnten noch alle insolventen Betriebe der Branche gerettet werden.
Perspektiven durch Transformation
Unternehmen, die rechtzeitig in moderne Anlagen, digitale Prozesse und langfristige Kundenbindungen investiert haben, gelten in der Branche als stabile Säulen. Einige übernehmen gezielt Volumen aus insolventen Standorten – oft auf Wunsch der Kunden. Diese gezielte Konsolidierung kann für einzelne Akteure neue Chancen eröffnen.
Die Druckgussbranche steht an einem Wendepunkt. Die bisherigen Geschäftsmodelle einer Reihe von Betrieben tragen nicht mehr – doch die Nachfrage nach hochwertigen Gussprodukten wird nicht verschwinden. Es braucht Mut zur Veränderung, Investitionen in Zukunftsfähigkeit und neue Partnerschaften. Für diejenigen, die diese Transformation aktiv gestalten, bieten sich Perspektiven – auch wenn der Weg dorthin steinig bleibt.

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„Ich sehe auch Chancen – aber eben nicht für jeden.“
Jonas Eckhardt ist Partner bei Falkensteg. Die Restrukturierungsberatung begleitet Transformations- und Turnaround-Prozesse aus betriebswirtschaftlicher und operativer Perspektive. Im Interview spricht Eckhardt über die steigende Zahl an Insolvenzen in der Gießereibranche, über die Rolle der OEMs, verpasste Investitionen – und warum es Unternehmen gibt, die von der Marktverschiebung profitieren.

Herr Eckhardt, wie beurteilen Sie aktuell die Insolvenzlage in der Gießerei- und Druckgussbranche?
Jonas Eckhardt: Die Insolvenzdynamik ist im ersten Quartal 2025 noch einmal gestiegen. Was wir beobachten, ist eine enorme Überkapazität: Es gibt einfach zu viele Werke für zu wenig Volumen. Das ist am Ende der Hauptgrund. Viele Betriebe sind zudem technologisch nicht auf dem neuesten Stand – keine Automatisierung, kein moderner Maschinenpark, kein effizientes Layout. Und das Problem ist nicht neu – es wurde durch die Transformation in der Automobilindustrie nur verschärft.
Welche Rolle spielen Standortfaktoren wie die Energiepreise?
Jonas Eckhardt: Oft wird gesagt, es liegt an den Energiepreisen. Das stimmt aber nicht. Wir sehen es ganz klar: Es ist ein Volumenproblem. Die Werke bekommen keine Abrufe mehr oder viel zu wenige, um wirtschaftlich zu arbeiten. Die Nachfrage ist schlicht eingebrochen und sie wird nicht wiederkommen. Wenn auch nicht investiert wurde, dann können Energieverbräuche tatsächlich eine Rolle spielen und es wird sehr schwierig, solche Betriebe zukunftsfähig aufzustellen.
Welche Rolle spielen die OEMs in dieser Situation?
Jonas Eckhardt: Die schauen sehr genau hin: Wer ist aktiv am Markt, wer kann verlässlich liefern? Es gibt Einzelfälle, wo OEMs uns direkt sagen: Bitte rettet dieses Unternehmen, wir brauchen die Teile. Dann helfen sie auch – mit Volumenzusagen oder Investitionszusagen. Aber das ist die Ausnahme. In den meisten Fällen ist es umgekehrt: Wenn der OEM wegzieht, ist das Unternehmen nicht mehr zu retten. Ob ein Betrieb sanierungsfähig ist, hängt ganz wesentlich davon ab, ob der Kunde bleibt.
Oft ist von alternativen Märkten wie Aerospace oder Rüstungsprojekten die Rede. Sehen Sie dort Chancen für den Guss?
Jonas Eckhardt: Das wird zwar oft genannt, ist aber aus meiner Sicht nicht relevant. Natürlich gibt es einzelne Projekte – aber das Volumen ist gering, die Zulassungshürde hoch, und der Wettbewerb sehr intensiv. Diese Märkte sind für den klassischen Druckgießer keine Alternative. Die fehlenden Volumina lassen sich dort nicht ersetzen. In der Rüstungsindustrie baut man nun mal keinen Panzer aus Aluminium.
Wie ist die Bedeutung Chinas für die aktuelle Marktsituation zu beurteilen?
Jonas Eckhardt: Erstens: Wenn ein Auto aus China kommt, dann werden in Deutschland regelmäßig keine Teile dafür gegossen. Zweitens: Der Wettbewerbsdruck steigt auch in China brutal an. Deutsche Gießereien haben Werke dort aufgebaut. Die sind modern und gut aufgestellt, aber genau dort fehlen jetzt die Volumina. Bisher konnte man sich gegenseitig stützen – der chinesische Standort war profitabel und hat im Zweifel das Werk in Deutschland stabilisiert. Jetzt bräuchte der Standort in China Unterstützung – und das deutsche Werk kann sie nicht leisten, weil auch hier die Auslastung fehlt. Der Druck kommt von beiden Seiten gleichzeitig. Das macht die Situation für Gießereien extrem angespannt.
Wie beurteilen Sie die Perspektiven der Branche in Deutschland?
Jonas Eckhardt: Früher haben wir zwei von drei Unternehmen retten können, heute ist es eher jedes dritte. Der Hauptgrund: Es fehlt häufig ein belastbares Geschäftsmodell. Ich sehe auch Chancen – aber eben nicht für jeden. Die Nachfrage sinkt dauerhaft, aber es wird weiterhin Guss geben. Die Frage ist: Wer macht das künftig – und wie viele Anbieter braucht es dafür? Wir sehen eine Differenzierung. Unternehmen, die modern sind, automatisiert, mit einem stabilen Kundenportfolio, übernehmen jetzt Kapazitäten anderer. Das Geschäft verlagert sich zu denen, die liefern können. Das ist am Ende auch eine Chance zur Gestaltung.