Die Generation Y und Z suchen nach einem Sinn in ihrer Arbeit
07.12.2021 Karriere Interview

Die Generation Y und Z suchen nach einem Sinn in ihrer Arbeit

Mitten in der Klimadebatte wird die Gießereiindustrie immer noch mit stinkenden Autos, Luftverschmutzung und dem Dieselbetrugsskandal in Verbindung gebracht. Dabei setzen Millennials wie keine Generation zuvor auf Innovationskraft und Nachhaltigkeit.

Bild junger Menschen in Arbeitsumgebung. Mit dem Wandel der Mobilität in den Städten werden Leichtbaukonstruktionen immer wichtiger. Junge Menschen interessieren sich für innovative Technologien und nachhaltige Lösungen. Die Gießereiindustrie könnte neue Talente anziehen, wenn es ihr gelingt, ihren Beitrag sichtbar zu machen.

Wenn die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, wird sich der Fachkräftemangel in Deutschland verschärfen. "Die Wucht dieses gesellschaftlichen Umbruchs wird die Unternehmen in den nächsten fünf Jahren hart treffen", sagte Frank Böhringer vom Demographie-Netzwerk gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Gleichzeitig klagt bereits rund ein Drittel der 600 im Bundesverband der Deutschen Gießerei-Industrie zusammengeschlossenen Unternehmen über einen Mangel an Arbeitskräften. Die Branche hat es schwer, im Wettbewerb mit anderen Branchen um junge Talente zu bestehen. Woran liegt das? Darüber spricht Gérôme Fuchs, Specialist Talent Development & Employer Branding in der Personalabteilung von GF Casting Solutions, mit Prof. Martin Fehlbier, der das Fachgebiet Gießereitechnik am Institut für Produktionstechnik und Logistik des Fachbereichs Maschinenbau der Universität Kassel leitet.

Fuchs: Es ist schwierig, an verschiedenen Produktionsstandorten Nachwuchskräfte zu finden. Auch Stellen in der Forschung und Entwicklung können oft nicht sofort besetzt werden. Wir hingegen besetzen in der Regel alle unsere Ausbildungsplätze. Ich halte uns für einen attraktiven Arbeitgeber, aber die Veränderungen in der Branche bringen auch Unsicherheiten mit sich. Deshalb besetzen wir auch nicht immer alle Stellen, die wir ausschreiben.

Prof. Fehlbier: In der universitären Laufbahn ist man eingeladen, sich in gewisser Weise in die Materialien und ihre Herstellungsprozesse zu verlieben und so eine Beziehung zu ihnen aufzubauen. Dann wird man richtig gut in dem, was man machen will. Aber es ist schwieriger geworden, junge Menschen dafür zu begeistern. Nichts gegen Soziologie oder Medizin. Aber ich denke, dass manchmal im Vorfeld gewisse Ängste gegenüber anderen Disziplinen geschürt werden. "Seid ihr spitze in Mathe, Physik und Thermodynamik? Nein? Dann haben Sie hier an der Universität keine Chance." Solche Aussagen sind nicht hilfreich und schrecken viele ab. Dieses Verhalten muss sich ändern, ich erlebe das hier manchmal bei Leuten, die sich wohl präsentieren wollen. Hier gebe ich gerne zu bedenken "Alle großen Fische waren einmal klein" oder "Man wächst mit seinen Aufgaben."

Die Zahl der Frauen in MINT-Berufen ist seit Ende 2012 um 23,3 Prozent gestiegen. Herr Fuchs, wie gewinnen Sie Frauen als Mitarbeiter?

Fuchs: Die Frauen, die bei uns im Unternehmen beschäftigt sind, sollen sich vernetzen und eine Community bilden. Wir veranstalten zum Beispiel Workshops und Gastvorträge, in denen es um Themen wie Selbstmarketing oder erfolgreiche Verhandlungen geht. Die Branche ist wohl eher männerdominiert. Aber die Frage bleibt: Wo müssen wir ansetzen, um langfristig mehr Frauen für die Branche und unser Unternehmen zu gewinnen?

Prof. Fehlbier:
Wir denken auch ständig darüber nach, wie wir Frauen im universitären Umfeld noch besser ansprechen, gewinnen und fördern können. Dazu gibt es mittlerweile viele Angebote. Diese reichen von speziellen Girls Days zur Vorstellung der ingenieurwissenschaftlichen Studiengänge über die hessischen Mentoring-Programme ProCareer.MINT und ProAcademia zur gezielten Förderung und Vernetzung von Nachwuchswissenschaftlerinnen im Studium, in der Promotion und darüber hinaus bis hin zu Unterstützungsangeboten für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, z.B. durch Kinderbetreuung. Dennoch liegt der Frauenanteil im Maschinenbau immer noch knapp unter 20 Prozent.

Marius Kohlhepp sagte im letzten Teil dieser Serie: Die große Rolle, die das Gießen für Elektrofahrzeuge spielt, ist in den Köpfen der Menschen noch nicht angekommen. Wie nehmen Sie das wahr?

Fuchs: Meiner Erfahrung nach sind die Menschen in der Gießereibranche leidenschaftlich und wissen, was sie schaffen. Aber das sieht nicht jeder. Auch die E-Mobilität hat einen enormen Aufmerksamkeitsschub gebracht. Das war vor ein paar Jahren noch nicht der Fall.

Prof. Fehlbier: Ich bewundere Unternehmen wie Intel, die es mit ihrer "Intel Inside"-Kampagne geschafft haben, das bekannt zu machen, was man gar nicht sieht. Auch der Guss hat dieses Problem. Gussteile sind oft hinter Kunststoff versteckt, zum Beispiel bei Motorenkomponenten in Autos. Man steht morgens auf, macht die Heizung an, duscht und fährt in irgendeiner Form - sei es mit der Straßenbahn, dem Auto oder dem Fahrrad - zur Arbeit und merkt gar nicht, welche innovativen Gussteile man verwendet hat. Diese Aufmerksamkeit fehlt leider noch zu oft in der Gießereiindustrie.

Fuchs: Berufsbilder in der Gießereiindustrie werden mit den Adjektiven laut, schmutzig und heiß assoziiert.

Prof. Fehlbier: Als ich anfing, hieß der Studiengang noch "Hüttenkunde", also Eisen- und Stahlwerke. Er wurde recht schnell umbenannt, weil er irgendwie rückständig klang und auch oft mit Umweltverschmutzung in Verbindung gebracht wurde. Aber wir haben natürlich auch ein aktuelles Imageproblem, gerade in der Klimadebatte: stinkende Autos, Luftverschmutzung, der Dieselbetrugsskandal sind gängige Assoziationen. Aber in vielen Gießereien kann man heute praktisch vom Boden essen, umgeben von Computertechnik.

Fuchs: Trotzdem werden die Arbeitsbedingungen von Außenstehenden als schlecht empfunden. Die Branche ist derzeit nicht attraktiv, auch mit Blick auf die Zukunft. Heutzutage sind Innovation und Nachhaltigkeit gefragt.

Prof. Fehlbier: Eben. Aber wir können die Ressourcen auf unserem Planeten nicht weiter so drastisch verbrauchen. Das wäre sehr töricht. Und das erkennen immer mehr junge Menschen. Wer heute in der Gießereiindustrie anfängt zu arbeiten, ist nicht Teil des Problems, sondern wird ein wesentlicher Teil der Lösung. Gerade die Gießereiindustrie bietet zum Beispiel hervorragende Recyclingmöglichkeiten. Die Branche ist im Wandel und wir haben hier große Chancen.

Fuchs: Ja. Bei der Suche nach jungen Talenten hilft uns unser aktiver Beitrag zu mehr nachhaltiger Mobilität. Die Generationen Y und Z suchen nach Sinn in ihrer Arbeit und wollen sich mit ihrem Beruf identifizieren.

Prof. Fehlbier: Ein Leben lang nur eine Sache zu machen, wird für die nächste Generation nicht mehr funktionieren. Junge Menschen bleiben nicht mehr in einem einzigen Bereich gefangen. Sie können heute sehr gut mit Laptops und modernen Computerprogrammen, aber auch mit innovativen Fertigungstechnologien und Materialien umgehen und sind daher sehr flexibel. Sie wollen etwas bewegen.

Fuchs: Gerade der Leichtbau ist sicherlich für die nächste Generation interessant. Es war Tesla, der das Thema erst wieder in den Mainstream gebracht hat. Das ist beeindruckend. Alle anderen, wie BMW und Audi, sind Nachzügler. Aus meiner Sicht kann es durchaus sein, dass Tesla die Attraktivität der Gießereiindustrie erhöht.

Erst kürzlich hat VW-Chef Herbert Diess Elon Musk zu seiner Vorstandskonferenz eingeladen. Welche Bedeutung messen Sie dem Tesla-Chef innerhalb der Gießereibranche bei?

Prof. Fehlbier: Tesla ist in vielen Bereichen ein Düsentrieb- und Marketinggenie, nicht nur im Großstrukturguss mit seinen Mega-Castings auf Giga-Maschinen. Anfangs wurde Elon Musk oft belächelt, nach dem Motto "Lass ihn sein Ding machen", aber mittlerweile lacht niemand mehr. Er bringt eine völlig neue, freie Denkweise und den Vorteil eines Neuanfangs mit sich. Musk ist nicht in Zwänge und Prozesse eingebunden wie viele andere mit traditionellen Produktionsanlagen. Er betritt Neuland und bettet seine E-Autos sehr geschickt in ein ausgeklügeltes IT-Umfeld ein; das E-Auto ist das neue Handy auf Rädern, und es ist zudem umweltfreundlich, was vor allem junge Menschen anspricht. Und es vermittelt gerade für unsere Gießereiindustrie auf frische Art und Weise, dass Gießen großartig ist und es noch viel Raum für ganz neue Innovationen gibt. Tesla wirbt als Unternehmen auch international für Forschungsziele und zeichnet Studententeams aus. Die Gewinner werden dann eingeladen und können ihre Ergebnisse vor Ort präsentieren. Meines Wissens gibt es von deutschen OEMs noch nichts Vergleichbares.

Autor

Nicole Kareta