• 14.05.2025
  • Interview

Das deutsche Zugpferd, das im Stall bleibt

Gigacasting gilt als bedeutender Technologietrend in der Automobilbranche, doch für kleine und mittelständische Gießereien ist der Einstieg kaum realistisch – weder wirtschaftlich noch infrastrukturell. Die Druckgussbranche sei ein starkes, aber ausgebremstes Zugpferd der deutschen Industrie, so Eric Müller, CTO des Automobilzulieferers Carlo Gnutti Group. Und Gigacasting sei keineswegs das Allheilmittel. Wer im Wandel überleben will, muss realistisch statt gehyped sein.

Eric Müller im Anzug

Immer mehr Gießereien melden Insolvenz an. Räumen große Anbieter jetzt den Markt auf?

Eric Müller: Absolut, ja. Neben den Energie- und Materialkosten hat die Druckgussindustrie die Challenge, eine sehr investitionsintensive Branche zu sein. 
Ob neue Aufträge im Zuge der Antriebstransformation oder „altbekannte“ Bauteile – beides erfordert hohe Vorleistungen. Bei einer EBITDA-Marge von durchschnittlich fünf bis sieben Prozent fällt es Gießereien in Deutschland schwer, solche Summen zu stemmen und langfristig wirtschaftlich zu arbeiten.

Ebenso schwierig ist es, Volatilität und Flexibilität mit maximaler Wirtschaftlichkeit zu vereinbaren. Viele dieser Probleme sind nicht technischer, sondern struktureller Natur – und sie treiben die Konsolidierung weiter voran, die sich bereits seit 2021 abzeichnet.

Zusätzlich belastet eine deutliche Überkapazität die Branche. All diese Kapazitäten lassen sich dauerhaft nicht auslasten und einige werden deshalb vom Markt verschwinden – sei es durch Werksschließungen, Insolvenzen oder gezielten Rückbau. Neben finanzieller Stabilität ist es angebracht, die Kapazität schrittweise mit einer maximalen Flexibilität auszubauen, um den Cash Impact so gering wie möglich zu halten und den potenziellen Hochlauf genau zu beobachten.

 

Die Einstiegshürden für scheinbar rettende Trends wie Gigacasting sind hoch.
Wie realistisch ist die Einführung für mittelständische Gießereien?

Müller: Meiner Meinung nach sind kleine und mittelständische Gießereien aus genannten Gründen nicht in der Lage, diesem Trend zu folgen. Selbst wenn man die finanziellen Hürden kurz außer Acht lässt, stehen viele Betriebe vor massiven infrastrukturellen Problemen: Hallenhöhen, Flächen oder Kräne reichen in der Regel nicht aus – und lassen sich oft auch nicht ohne Weiteres nachrüsten.

Sie müssen also zwangsläufig an eine Umsiedelung und einen Neubau denken, was noch vor der Anschaffung einer Maschine zum Problem wird. Liegt der Standort zudem ungünstig – also nicht in unmittelbarer Nähe zum Kundenwerk – lassen hohe Transportkosten die Gesamtkalkulation schnell unwirtschaftlich erscheinen. Und wenn diese Hürden auch überwunden sind, kommen Personalkosten hinzu, denn die Fachkräfte müssen auch noch umgesiedelt oder neu rekrutiert werden. Das erschwert den Produktionshochlauf und schwächt das bestehende Geschäft.

Unterm Strich: Es ist nicht immer angebracht, jedem Trend direkt zu folgen. Es gibt sicher andere sehr interessante Bereiche, bei denen man mit spannenden Lösungen die Aufmerksamkeit des Kunden gewinnen kann.

 

Mal provokativ gefragt: Ist Gigacasting überhaupt das Wundermittel der Branche?

Müller: Gigacasting erhöht den Aluminiumdruckguss-Anteil im Fahrzeug, indem es andere Werkstoffe ersetzt. Besonders bei großflächigen Strukturbauteilen in Hybridfahrzeugen kann das sinnvoll sein. Allerdings glaube ich nicht das Gigacasting das Wundermittel ist – eher ein wichtiger Teil eines größeren Wandels.

Sehr große Bauteile lassen sich auch ohne Gigacasting fertigen. Wir haben in Werkzeuge und Prozesse investiert und fertigen nun beispielsweise Bauteile für über 4.400 Tonnen Schließkraft auf einer 2.800-Tonnen-Maschine. Kleine und mittelständische Gießereien müssen daher ihr Know-how maximal nutzen, die Möglichkeiten ihres Maschinenparks genau kennen und Investitionen sorgfältig abwägen.

Eric Müller beim EUROGUSS Executive Circle 2024 in Frankfurt
Eric Müller beim EUROGUSS Executive Circle 2024 in Frankfurt.

Was ist, wenn der Markt daran festhält?

Müller: Sollten die OEM und führenden Tier 1 am Gigacasting als Wundermittel festhalten, sollte schleunigst die Supply Chain verbessert und ausgebaut werden, um die volatilen Mengen zu bedienen. 

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Förderprogramme nutzen, Partnerschaften aufbauen, schrittweise umsetzen – Infostellen raten gerne dazu. Kann die Lösung für KMUs so simpel sein?

Müller: Aus unternehmerischer Sicht sind strategische Kooperationen mit starken Lieferanten wie Werkzeugmachern ein Muss – frei nach dem Motto „gemeinsam stark“. Das ist allerdings keine „schnelle“ und „simple“ Lösung. Solche Partnerschaften brauchen ein starkes Vertrauen, klare Regeln und Vereinbarungen. Das geht nicht über Nacht.

Was Förderungen betrifft: Die sind grundsätzlich wichtig – aber sie müssen schneller und unbürokratischer greifen. Sonst verlieren sie ihre Wirkung noch bevor sie ankommen.

 

Welche Rolle spielt die Industriepolitik in der Branchenentwicklung?

Müller: Die industriepolitische Rolle ist enorm, da wir hier in Deutschland nicht unbedingt von einem technologischen, sondern eher von einem Standortnachteil sprechen. Druckguss gehört nach wie vor zu den Zugpferden der deutschen Industrie, kann diese Stärke aber nicht ausspielen. Ohne konkrete und schnelle politische Unterstützung wird es immer mehr zum Ausverkauf kommen.

 

Europa setzt auf strenge Umweltauflagen, während China und die USA teils lockere Vorgaben haben. Ist das ein weiterer Standortnachteil oder ein Innovationsanreiz? Und ist Nachhaltigkeit überhaupt ein Kaufkriterium für Kunden?

Müller: Ohne je selbst durch die Brille unserer Kunden geschaut zu haben, lässt sich sagen: Der Endkunde hat genaue technische, wirtschaftliche und ethische Vorgaben bei der Produktion. Die muss den Regularien des jeweiligen Landes entsprechen – und natürlich muss das Bauteil einwandfrei gemäß der Zeichnungsanforderung funktionieren.

Solange diese Bedingungen erfüllt sind, ist auch der Endkunde vermutlich zufrieden. Doch je höher die Hürden im Land sind, desto schwieriger wird es für Lieferanten, alle Bedingungen wirtschaftlich zu erfüllen, um ein nachhaltiges Geschäft zu gewinnen.

 

Skandinavische Länder wie Schweden und Norwegen setzen auf grünes Aluminium aus Wasserkraft. Wäre das auch ein Weg für Deutschland?

Müller: Die skandinavischen Länder sind starke Beispiele für einen Standortvorteil. Wie weit wir davon entfernt sind, kann man erahnen, wenn man den Energiemix Schwedens mit etwa 40 Prozent Wasserkraft, 30 Prozent Atomkraft und circa 20 Prozent Windkraft betrachtet. Die skandinavischen Länder sind starke Beispiele für einen Standortvorteil. Ohne hier eine energiepolitische Debatte zu führen: Derzeit fehlen Deutschland dafür einfach die strukturellen Voraussetzungen. 

EUROGUSS Executive Circle am  01. - 02. Juli 2025 in Mailand 

Teilnehmer des EUROGUSS Executive Circle versammeln sich in einem Raum.

Hier führen Entscheidungsträger der Druckgussindustrie in Europa eingehende Diskussionen über die Zukunft der Branche und entwickeln Lösungen. Am 1. und 2. Juli treffen sich erneut Führungskräfte aus der gesamten Wertschöpfungskette. Unter dem Motto „Weniger Vergangenheit, mehr Zukunft“ sprechen die Teilnehmer über Kunden und Markt, internationale Sichtbarkeit und Marketing sowie Employer Branding. Wenn Sie dabei sein wollen, melden Sie sich frühzeitig an. Die Plätze sind begrenzt.