E-Mobilität stellt Status Quo der Automobilfertigung in Frage
15.07.2021 Transformation der Antriebe News

E-Mobilität stellt Status Quo der Automobilfertigung in Frage

Was die deutsche Druckgussindustrie von den neuen Playern der E-Mobilität lernen kann.

Bühler Carat für Strukturbauteile Strukturbauteile haben in der Automobilindustrie deutlich an Bedeutung gewonnen, wobei der Trend zu immer größeren Teilen geht. Bühler’s Carat ist die Antwort darauf. // © Bild: Bühler
Der Verbrennungsmotor hat ein Ablaufdatum: Audi will als erster Autohersteller in Deutschland ab 2026 keine neuen Verbrenner mehr produzieren. Das hat Unternehmenschef Markus Duesmann laut Süddeutsche Zeitung auf einem Führungskräftetreffen erklärt. Auch Daimler will ein Jahr früher als geplant etliche der ab 2024 vorgesehenen neuen Batteriemodelle auf den Markt bringen, berichtet das Manager Magazin. Die entsprechenden Pendants mit Verbrennungsmotor sollen aus dem Programm des Autobauers genommen werden. BMW hat dagegen für die Mehrheit der 140 Länder, in denen ihre Autos verkauft werden, keine klaren Pläne zum Ausstieg der Verbrennertechnik.

Damit reagiert die deutsche Automobilindustrie auf die verschärften Klimaanforderungen der EU. Diese sehen vor, dass die Autobauer bis 2030 ihre Emissionen um bis zu 60 Prozent senken müssen. Norwegen hat dagegen längst das Jahr 2025 zu dem Datum ausgerufen, an dem Null-Emissionen für alle im Land verkauften neuen Pkw und Transporter gelten. In Deutschland macht sich, auch mit Blick auf die kommende Legislaturperiode und der erstmaligen Kanzlerkandidatur der Grünen, Unruhe in der Automobilbranche breit.

Zukunft der Elektromobilität: Spielzeugautos als Produktionsvorbild

Tesla, als E-Auto-Pionier maßgeblich für den Wandel verantwortlich, ist inzwischen das am höchsten bewertete Fahrzeugunternehmen der Welt. Während der Verband der Automobilindustrie (VDA) in Deutschland über Jobabbau in der Zuliefererbranche warnt, startet Tesla im Vergleich zu traditionsreichen Autobauern neu – ohne eine bestehende Produktion, die umgebaut werden muss, und mit schwindelerregender Geschwindigkeit. Zwei Patente, die das Unternehmen angemeldet hat, lassen die Zukunft der Autobauer erahnen: 

1. Als erstes soll die Batterie des E-Autos – eine der teuersten und massivsten Baugruppen – als fester Bestandteil der tragenden Fahrzeug-Struktur eingebunden werden. Unternehmenschef Elon Musk vergleicht das Konzept mit Flugzeugen, bei denen die Flügel inzwischen als Treibstoff-Tanks genutzt werden. 

2. Zweitens soll die Fahrzeugkarosserie auf so wenig große Strukturgussteile wie möglich vereinfacht werden. "Mit unseren riesigen Druckgussmaschinen versuchen wir buchstäblich, Autos in voller Größe auf die gleiche Weise herzustellen wie Spielzeugautos", so Musk auf Twitter.

Konsequent wird deswegen der Heckrahmen des Tesla Model Y in ein einzelnes, massives Teil gegossen. Mit einer Einspritzgeschwindigkeit von 10 Metern pro Sekunde schafft Tesla 40-45 Gussteile pro Stunde. Das sind 1.000 Heckrahmen pro Tag. Im vorherigen Model 3 besteht die hintere Bodengruppe aus 70 verschiedenen Metallteilen, die aufwendig produziert und aneinandergeschweißt werden müssen. Die neue Unibody-Konstruktion reduziere das Gewicht nicht nur deutlich, sondern soll auch sicherer sein: Ein einziges Strukturgussteil absorbiere die Aufprallkraft bei Unfällen deutlich besser.

Gigantische Maschinen reformieren den Druckguss

Die neuen Druckgussmaschinen, die dafür verwendet werden, sind groß wie ein Haus und werden von ihrem italienischen Hersteller Idra, der Tesla bislang mit kleineren Anlagen dieser Art belieferte, selbst als Giga-Presse bezeichnet. Will man die einzelnen Maschinenkomponenten transportieren, braucht es dafür bis zu 24 Tieflader. Die Installation erfordert – neben der hohen Anfangsinvestition – ein entsprechendes Gebäude und Fundament, eine höhere Schmelzleistung pro Maschine und eine andere Krantechnik. Rechnen soll sich der Aufwand dennoch: Der Preis pro Heckrahmen soll insgesamt um 40 Prozent sinken. Idra gibt außerdem an, ihre Maschine sei 40 Prozent energieeffizienter, habe insgesamt 30 Prozent weniger Platzbedarf in der Fabrik und spare Investitionen in Roboter und Werkzeuge. Roboter, das verkündete Musk zuletzt, seien ohnehin überholt.

Die Entwicklung ist kaum überraschend. Maschinenbauer sehen seit Jahren einen stetigen Trend zu größeren Druckgussmaschinen (siehe Grafik). Martin Lagler ist Leiter des Produktmanagements von Bühler, dem direkten Wettbewerber von Idra. Er betont, es hätte bei beiden Unternehmen schon lange Konzepte für große Druckgussmaschinen gegeben, die bisher nicht realisiert werden konnten: „Ein Designer eines OEMs konstruiert kein Bauteil für eine Druckgussmaschine, die es nicht gibt. Und wenn es keine Bauteile gibt, machen wir keine Maschine. Jetzt ist die Henne-oder-Ei-Frage endlich geklärt. Daran hat Tesla sicher einen großen Anteil.“

Erst mit dem radikalen Innovationsansatz Teslas und der Risikofreude seines Geschäftsführers sei es möglich, den jahrzehntelang gültigen Status Quo der Automobilfertigung in Frage zu stellen. Lagler meint: "Die klassischen OEMs sind oft in ihren Strukturen gefangen. Die neuen Start-Ups sind viel schneller und agiler unterwegs. Das sehen wir nicht nur bei Tesla, sondern auch in der E-Mobilität-Szene, die in Asien wächst.“

E-Antrieb hat längst seine Existenzberechtigung gefunden

Dabei betrifft der Wandel zur E-Mobilität weitaus mehr Unternehmen als Autobauer und ihre Zulieferer. Erst kürzlich entdeckte man auf dem Grund des Rheins mehrere Hundert E-Roller, die Passanten über Jahre versenkt hatten. Das berichtete der WDR und verwies auf den Eroberungszug der E-Bikes und E-Roller, der quasi über Nacht durch europäische Großstädte rollte. Der surrende E-Antrieb, ob im Auto oder anderen Fortbewegungsmitteln, hat zumindest in Metropolen längst seine Existenzberechtigung gefunden.

Davon profitiert STIHL Magnesium-Druckguss. Das Unternehmen fertigt Gehäuseteile für E-Bike-Antriebe und rechnet mit einer Verdopplung seines Produktionsvolumens innerhalb der kommenden zwei Jahre. Erst kürzlich gab STIHL Magnesium-Druckguss deswegen bekannt, rund 16 Millionen Euro in Produktionsanlagen und Infrastruktur investieren zu wollen. Der Markt für E-Roller und E-Scooter gelte als Teil einer neuen Lösung für Individualverkehr in Großstädten. „Und auch dafür braucht es leichte Bauteile in großen Stückzahlen und eine gute Kostensituation. Das ist die Kompetenz der Druckgussindustrie“, sagt Hartmut Fischer, Geschäftsführer des Unternehmens. Er beobachtet auch eine Veränderung auf Kundenseite: „Jeden Tag gründet sich gefühlt ein Start-Up für Batteriesysteme. Diese neuen Unternehmen sind Fachleute in ihrem Bereich, haben aber eher wenig Erfahrung im Magnesium-Druckguss. Sie brauchen Entwicklungspartner, und das wird unser Vorteil sein.“

Klimaneutralität braucht einen globalen Ansatz

Erst auf dem Digitalgipfel im Mai warnte Bundeskanzlerin Angela Merkel die deutsche Autobranche davor, zur "verlängerten Werkbank" von IT-Unternehmen zu werden und legte damit ihren Finger in die Wunde der deutschen Automobilindustrie: Geringe Margen, gigantische Investitionssummen und ein hoher Energiepreis machen das Ausprobieren in Deutschland eben schwer. Dazu kommen EEG- und CO2-Abgaben und die Verpflichtung, bestehende Produktionen klimaneutral zu wandeln. Die Forderungen sind zwar gerechtfertigt und wichtig, brauchen aber einen gemeinsamen globalen Ansatz. Hartmut Fischer sieht die Politik in der Verantwortung, Ungleichheiten vorzubeugen: „Wenn in einem anderen, zum Beispiel osteuropäischen Land, günstiger mit höheren Emissionen produziert werden kann, haben wir global gesehen nichts gewonnen. Hier muss die Politik mithelfen, die Rahmenbedingungen für alle gleich aufzustellen.“

Die Tech-Industrie startet dagegen auf allen Kontinenten durch. Eine Position, die Deutschland mit ihrer Automobilindustrie, ihren Verbrennern als Exportschlagern, jahrzehntelang innehielt. Doch der Druck aus Bevölkerung, Wissenschaft und Politik ist enorm gewachsen. Der Vorsprung der Technologien, auf dem sich Deutschland lange ausruhen konnte, ist spätestens mit großen Wettbewerbern wie Tesla, aber auch den kleinen, agilen Tech-Start-Ups, eingeholt. Die E-Welle fordert eine Transformation der globalen Gießerei-Industrie. Wer sich bei einem solchen Paradigmenwechsel zuletzt bewegt, ist normalerweise nicht der Gewinner. Es gilt, und das wurde mittlerweile allzu oft gefordert, zu reagieren.

Tesla kümmert das bisher wenig. Zwar wurde der Starttermin der Gigafactory in Berlin wegen ungewohnten bürokratischen Hürden verschoben, aber Grund sei auch, dass man jetzt zusätzlich eine eigene Batterie-Fertigung integrieren wolle. In einer Patentanmeldung von 2019 sprach das Unternehmen außerdem von vier großen Druckgussmaschinen, die zusammen den kompletten Rahmen für ein Tesla-Fahrzeug aus Aluminium produzieren soll. Weil in den Tesla-Anträgen für die deutsche Gigafactory je vier der Maschinen in einer Gruppe nah aneinander dargestellt sind, wird jetzt auch spekuliert, dass der Komplett-Guss bereits bei Model Y in der neuen Fabrik umgesetzt wird. Ende dieses Jahres, pünktlich nach der Bundestagswahl, sollen hier die ersten E-Autos durch die Hallentore rollen.

Autor

Corinna Robertz