"Megacasting ist für uns die logische Weiterentwicklung"
24.05.2023 Lightweight Trend Interview

"Megacasting ist für uns die logische Weiterentwicklung"

Megacasting wird von einigen OEMs als bahnbrechend angesehen, da es die Komplexität in der Produktion reduzieren kann. Ein Gespräch zwischen Martin Lagler vom Schweizer Druckgussexperten Bühler und dem Redakteur Götz Fuchslocher über Gegenwart und Zukunft des Prozesses.

Martin Lagler
Herr Lagler, wie ist die Automotive-Branche beim Druckguss aufgestellt?

Druckguss hat eine über hundertjährige Tradition und kommt seit Jahrzehnten in der Automobilindustrie zum Einsatz, hauptsächlich für Gehäuse im Bereich Powertrain, etwa bei Kurbel- oder Getriebegehäusen sowie bei Ölwannen wie auch für Fahrwerkkomponenten. Mit der E-Mobilität kommen ebenfalls Motorengehäuse wie auch solche für den Inverter hinzu. Unverändert und unabhängig vom Antrieb ist Druckguss state-of-the-art bei Gehäusen für Lenkgetriebe und Klimakompressoren. 

Es kamen Strukturbauteile im Body-in-White hinzu, ein Thema, das nicht erst mit Tesla, sondern bereits in den 90er-Jahren mit Audis Aluminium-Space-Frame-Bauweise seinen Anfang nahm. Damit einher ging auch die Entwicklung entsprechender Legierungen sowie auch die Vakuum-Technologie, also das Absaugen der Luft, bevor Aluminium eingegossen wird. Dies sichert zum einen eine hohe Qualität, erlaubt die Schweißbarkeit des Gussteils und ermöglicht hohe Dehnwerte, wie sie bis dato im Guss undenkbar waren. 

Damit wurde der Grundstein für das gelegt, was wir heute Megacasting nennen. Die Technologie nahm bei den deutschen OEMs Fahrt auf. Weitere Marken kamen hinzu und heute setzen vor allem auch zahlreiche chinesische Startups auf Druckguss im Body-in-White.
Megacasting hat sehr stark an Fahrt aufgenommen. Vor allem das vergangene Jahr war ein Herausragendes.
Martin Lagler, Director Global Product Management und Marketing Die Casting, Bühler Group

Wie positioniert sich Bühler rund um Megacasting?

Nach unserer Definition handelt es sich bei den eben genannten Bauteilen um solche auf Maschinengrößen bis etwa 4.000 Tonnen Schließkraft, also solche für die Produktion von Längsträgern und Federbeinstützen für den Vorderwagen. Wer den Wechsel von Stahlblech auf Aluminium wagen möchte, hat mit diesen Bauteilen einen guten Einstieg in den Druckguss. Damit sind außer den OEMs zumeist zahlreiche Gießereien befasst, die diese Komponenten dann an die Autohersteller zuliefern. Die Tradition ist also groß.

Mit Blick auf den Einsatz in der Karosserie und hier wiederum bei recht großen Bauteilen ist der Druckguss aber noch recht neu. Megacasting ist für uns die logische Weiterentwicklung im Bereich der Strukturbauteile. Mit groß dimensionierten Anlagen bietet es sich nun an, mehrere Strukturbauteile zu kombinieren, wie auch bei einem direkten Umstieg zahlreiche Stahlbauteile gleich ganz zu substituieren. Wir sprechen typischerweise dann von Megacasting, wenn wir über die genannten 4.000 Tonnen Schließkraft hinausgehen, in Bereiche also von 6.000 bis 9.000 Tonnen, Werte, mit denen sich nun ganze Hinter- oder Vorderwagen in einem Teil umsetzen lassen.


Die Maschinen Ihres Hauses tragen die Bezeichnungen Carat 105 bis 920. Was zeichnet die Systeme aus?

Die Zahlen sind ein Hinweis auf die Größen. So verfügt die Carat 105 über 1.050 Tonnen Schließkraft, die Carat 920 über mehr als 9.000 Tonnen oder - technisch exakter ausgedrückt - über 92.000 kN Schließkraft. Die Maschinen sind vom Konzept her identisch, wobei es noch einen zweiten wichtigen Aspekt gibt, das ist die Gießeinheit.

Sie bestimmt, wie viel Masse Aluminium sich vergießen lässt, denn ein wesentliches Merkmal beim Megacasting ist, ob man das Werkzeug innerhalb von etwa 70 bis 90 Millisekunden auch mit flüssigem Aluminium befüllt bekommt. Um dies zu gewährleisten, muss die Maschine eine entsprechend hohe Füllkraft bieten. Unser Modell 610 Extended sowie die 840 und 920 verfügen hierfür über noch größere Gießeinheiten als die anderen Modelle. In einem Abgussgang sind bis zu 200 Kilogramm Aluminium möglich.

Druckgießzellen von Bühler vom Typ Carat 840 Volvo will im Werk Torslanda zwei Druckgießzellen von Bühler vom Typ Carat 840 einsetzen.
Volvo will im Werk Torslanda zwei Druckgießzellen vom Typ Carat 840 einsetzen. Welche Stückzahlen und in welchen Zykluszeiten können die Schweden damit fertigen?

Generell gehen wir bei diesen Bauteilen und Anlagengrößen von etwa 120.000 Teilen pro Jahr aus. Dies ist freilich ein Richtwert und keine ganz genaue Zahl, weil es weitere Faktoren zu beachten gilt. Relevant ist etwa, wie dickwandig die Bauteile sind, denn dünnere Teile erstarren natürlich früher als dickere. Zudem spielt die Form des Bauteils eine wichtige Rolle. Die Zykluszeiten liegen in etwa bei zwei Minuten pro Bauteil.

Mit allen Umrüstzeiten und eine komplette Verfügbarkeit der Anlage vorausgesetzt, kommt man dann auf die genannte Teilezahl. Wenn ein OEM eine halbe Million Fahrzeuge pro Jahr mit je einem Teil für den Hinterwagen produzieren will, benötigt er also vier oder fünf solcher Maschinen. Will er gleichzeitig auch den Vorderwagen ausstatten, verdoppelt sich die Zahl. Betont sei aber, dass sich auf einer Anlage auch verschiedene Bauteile herstellen lassen, wenn die Formen gewechselt werden.
Volvo wird die Systeme für Teile des hinteren Bodenbereichs seiner neuen Fahrzeugplattform einsetzen. Welche Herausforderungen gehen damit einher, etwa mit Blick auf die Wandstärken?

Da wir auch auf dem Gebiet der Bauteilgestaltung und Prozesse tätig sind, wissen wir sehr genau um die spezifischen Anforderungen. In der Regel sind Karosseriebauteile nicht einheitlich, sie müssen lokal unterschiedliche Stärken bieten. Wichtig ist dabei eine Auslegung entsprechend der Fließrichtung des Aluminiums. Das Bauteildesign und die Produktionsverfahren hängen also sehr stark miteinander zusammen.

Es gibt zwar viele Freiheiten, aber im Vordergrund steht die Frage, wie man mit möglichst wenig Aluminium die Anforderungen erfüllt und sich das Bauteil ideal herstellen lässt. Nur wenn Design und Prozess ideal aufeinander abgestimmt sind, kann der OEM maximalen Leichtbau bei hoher Kosteneffizienz erzielen. Um eine Zahl zu nennen: Bei den Wandstärken können wir technisch gesehen bis hinunter auf 1,8 Millimeter gehen.

Dies ist kein Durchschnittswert, sondern eher einer für den Rand eines Karosseriebauteils. Dort, wo wir eingießen, liegen die Materialstärken freilich höher. Eine strategische Frage ist daher auch die, wo man den Anguss positioniert. Noch etwas mehr Potenzial mit Blick auf die Reduktion von Wandstärken bietet Magnesium, weil es sich noch leichter vergießen lässt.

Welche Perspektiven bietet Magnesium denn?

Im Body-in-White ist Magnesium aktuell jedenfalls noch kein Thema. Das leichte Material kommt eher für Strukturbauteile für den Fahrzeuginnenbereich in Frage, etwa für die Aufnahme der Instrumententafel oder das Lenkrad. Bei Megacasting handelt es sich um Kaltkammerdruckguss. Dieser erlaubt die Verarbeitung der beiden Materialien Aluminium und Magnesium, wobei der Anteil von Aluminium bei weit über 90 Prozent liegt. Auf kleineren Maschinen gibt es auch noch Anwendungen mit Kupfer oder Messing.


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Autor

Götz Fuchslocher

Götz Fuchslocher

Redakteur

Automobil Produktion