Studie: Wirtschaftliche Bedeutung regionaler Automobilnetzwerke in Deutschland
27.10.2022 Branche & Märkte Grundlagenwissen

Studie: Wirtschaftliche Bedeutung regionaler Automobilnetzwerke in Deutschland

Die Unternehmen in der Automobilwirtschaft sehen sich durch die Dekarbonisierung und die digitale Transformation einem radikalen Wandel gegenüber. Die Elektrifizierung, Automatisierung und Vernetzung der Fahrzeuge rütteln an den Grundfesten einer der wichtigsten Branchen Deutschlands. Das „Fit-for-55“-Klimapaket der EU sieht vor, dass die durchschnittlichen jährlichen CO2-Emissionen von Neuwagen ab 2030 um 55 Prozent geringer und ab 2035 um 100 Prozent geringer als im Jahr 1990 ausfallen müssen.

Karosserie auf der EUROGUSS

Verbrennungsmotoren werden deshalb in der EU – und perspektivisch auch darüber hinaus – bereits in kurzer Frist einen schweren Stand haben. Das vorgeschlagene Minderungsziel entspräche bei Fortführung der geltenden Tank-to-Wheel-Konvention einem faktischen Verbot der Neuzulassung von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen mit Verbrennungsmotor ab 2035 in der EU.

Gleichzeitig ergeben sich durch die Entwicklung hin zum automatisierten Fahren neue Anforderungen an die Automobilwirtschaft. International operierende Unternehmen mit großen digitalen und technologischen Kompetenzen treiben die Transformation mit hohem Tempo auch im automobilen Sektor voran und verändern damit jahrzehntelang gefestigte Wertschöpfungsnetze und Wettbewerbspositionen. Dies erhöht auf der einen Seite den Anpassungsdruck auf traditionelle Automobilhersteller und -zulieferer, auf der anderen Seite entfalten sich durch die Transformation erhebliche Chancen in den neu entstehenden Wertschöpfungsfeldern und Märkten.

Für die Sicherung des Wohlstands und der Wirtschaftskraft Deutschlands spielt es eine Schlüsselrolle, diese Transformation erfolgreich zu gestalten. Die Automobilwirtschaft hat für viele Regionen in Deutschland eine herausgehobene Bedeutung. Mit ihren hochprofessionellen globalen Zulieferstrukturen dient sie als Vorbild und sichert Deutschlands Integration in die Weltmärkte. Auch innerhalb Deutschlands besteht eine ausgeprägte Arbeitsteilung zwischen den rund 44.000 Betrieben, die in die Herstellung eines Autos eingebunden sind. Dazu zählen neben den Automobilherstellern (OEM – Original Equipment Manufacturer) und deren direkten Zulieferern auch Unternehmen aus Branchen wie der Metallbearbeitung, dem Maschinenbau oder der Elektroindustrie.

 

Die Automobilwirtschaft in Deutschland 

 

  • In Deutschland können rund 3,26 Millionen Erwerbstätige mit der Automobilwirtschaft assoziiert werden. Diese verteilen sich auf Hersteller, Zulieferbetriebe und Serviceunternehmen, die in direkter Verbindung zum Auto stehen. Zu Letzteren zählen der Kfz-Handel, Werkstätten und Tankstellen.
  • 1,2 Millionen Personen sind in produktionsnahen Bereichen der Automobilwirtschaft beschäftigt. Sie befassen sich also mit der konkreten Herstellung von Autos bzw. deren Komponenten. Diese 1,2 Millionen Beschäftigten sind in rund 44.000 Betrieben in Deutschland tätig. 
  • Die produktionsnahen Bereiche der Automobilwirtschaft verteilen sich erstens deutlich ungleicher im Raum als die dienstleistungsorientierten Tätigkeiten für die Automobilwirtschaft und sind zweitens von der automobilen Transformation der Elektrifizierung, Automatisierung und Vernetzung in besonderem Maße geprägt. Deswegen liegt der Fokus dieser Studie auf der Produktion der Fahrzeuge und der dafür notwendigen Komponenten und Teile. 

Unternehmen in Deutschland positionieren sich schon heute in automobilen Chancenfeldern 

  • In der Studie werden – unabhängig von der Bedeutung der regionalen Automobilwirtschaft – auch Regionen identifiziert, in denen sich die Unternehmen mit den drei Chancenfeldern Elektrifizierung, Automatisierung und Vernetzung beschäftigen. Bundesweit sind schon heute rund 125.000 Beschäftigte in diesen zukunftsträchtigen Bereichen tätig, die meisten davon in der Elektrifizierung des Antriebsstrangs (etwa 64.000).
  • Hohe Beschäftigungsanteile in diesen Chancenfeldern haben vor allem viele bayerische und baden-württembergische Regionen. Aber auch in Thüringen und Sachsen haben Unternehmen bereits signifikante Beschäftigung in den Zukunftsfeldern aufgebaut. Die höchsten Beschäftigungsanteile an der Gesamtbeschäftigung haben Ingolstadt, Wolfsburg und der Bodenseekreis.
  • In den drei Chancenfeldern sind in den 40 vom automobilen Wandel besonders betroffenen Regionen etwa 46.000 Personen tätig. Auch wenn die Zahl deutlich unter der Beschäftigung am konventionellen Antriebsstrang liegt, wird deutlich, dass sich bereits zum jetzigen Zeitpunkt viele Unternehmen mit der automobilen Transformation auseinandersetzen. 

In den nächsten Jahren erfolgen signifikante Neuinvestitionen in Chancenfelder 

  • Insgesamt werden in Deutschland in den nächsten Jahren nach aktuellem Kenntnisstand etwa 139 Milliarden Euro in automobile Chancenfelder investiert, allen voran durch die deutschen Automobilhersteller, die erhebliche Summen zur Gestaltung der Transformation aufwenden.
  • Neben den deutschen Herstellern bauen auch ausländische Firmen Kapazitäten in Chancenfeldern (etwa der Batteriezellenproduktion) in Deutschland auf. Mindestens 10 Milliarden Euro werden ausländische Unternehmen laut Ankündigungen in den nächsten Jahren investieren, allen voran Tesla mit einem Volumen von rund 5,8 Milliarden Euro. 
 

Der EUROGUSS 365 Newsletter

Verpassen Sie nicht unsere besten Inhalte und News rund um die Druckgießerei-Industrie.

Melden Sie sich jetzt kostenfrei für den Newsletter an!

Zentrale Faktoren für eine erfolgreiche Transformation

 

Chancenfelder identifizieren und aktiv erschließen. In den nächsten Jahren eröffnen sich in den Chancenfeldern Elektrifizierung, Automatisierung und Vernetzung große Marktpotenziale. Bei deren Erschließung können Unternehmen in vielfältiger Art und Weise gezielt unterstützt werden. Wichtige Rollen werden dabei Innovationsnetzwerke und Start-up-Initiativen spielen. Beides erhöht die Innovationsaktivität – und zwar im evolutionären wie im radikalen Sinne. Hierbei könnten auch die Anstrengungen in mit dem Wandel verbundenen Förderprogrammen – wie der Nationalen Wasserstoffstrategie, der Initiativen zur Künstlichen Intelligenz (KI) oder zum Quantencomputing – weiter gestärkt, die automobilen Aspekte herausgearbeitet und miteinander verknüpft werden. Eine Intensivierung der Zusammenarbeit und des Wissenstransfers zwischen Wirtschaft und Wissenschaft würde weitere Potenziale erschließen. 

  • Aus- und Weiterbildung forcieren. Nicht nur für die drei Chancenfelder, sondern auch für andere mit dem automobilen Wandel einhergehende Technologien wie dem Leichtbau sind neue Kompetenzen erforderlich. In enger Zusammenarbeit mit den Unternehmen, Bildungsträgern und Hochschulen könnten neue Aus- und Weiterbildungen entwickelt und Weiterbildungsprogramme unterstützt werden, die diese Kompetenzen adressieren und damit zur Sicherung der Zukunft der Automobilwirtschaft in Deutschland beitragen. So könnten auch Perspektiven für Fachkräfte entwickelt werden, die derzeit noch im Bereich des konventionellen Antriebsstrangs tätig sind. 
  • Vernetzung und Kooperation stärken, um voneinander und miteinander zu lernen. Die 40 besonders betroffenen Regionen könnten sich gezielt miteinander vernetzen und gemeinsam Projekte initiieren, die Synergien versprechen. Dies könnten spezifische Kooperationsnetze zu verbindenden Innovationsthemen sein, Best-Practice-Projekte, die skaliert werden oder eine virtuelle Forschungsplattform unter Beteiligung von Forschungsinstituten. In jedem Falle ermöglichen die vorliegenden Ergebnisse ein Matching von Regionen und Unternehmen mit ähnlichen Herausforderungen, wodurch Erfahrungen geteilt und Kräfte gebündelt eingesetzt werden können. 
  • Spezifische Maßnahmen in den Regionen erarbeiten. Die 40 besonders betroffenen Regionen sind im Prozess der automobilen Transformation unterschiedlich weit fortgeschritten. Regionen, in denen Hersteller ansässig sind, stehen beispielsweise vor anderen Herausforderungen als Regionen, die primär von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) geprägt sind. Die vorliegende Analyse ermöglicht die Identifikation spezifischer Potenziale in den einzelnen Regionstypen, die auf unterschiedliche Stärken bauen können. Damit lassen sich gezielte Maßnahmen zur erfolgreichen Weiterentwicklung der Regionen kreieren und umsetzen. Ein möglicher Weg zur Erhöhung der regionalen Resilienz wäre die Gründung einer „Netzwerk-Exzellenz-Initiative“, die sich an der erfolgreichen Idee der Exzellenzstrategie für Universitäten orientiert. Problematisch beim Wissenstransfer ist oftmals die kurze Förderdauer, die zu abbrechenden Wissensketten führt. Stattdessen könnten Exzellenz-Netzwerke längerfristiger gefördert werden, wobei deren Erfolg alle sieben Jahre evaluiert wird. Damit könnte eine Verstetigung der Wissensgenerierung und des -transfers sichergestellt werden. Zur besseren Erschließung dieser Potenziale könnten damit verschränkte Coaching-Formate (beispielsweise Transformationslotsen) ausgebaut oder neu entwickelt werden, in denen die bessere Erschließung von Auslandsmärkten und die Identifizierung neuer Geschäftsfelder und -modelle adressiert werden könnten. 
  • Standortfaktoren verbessern. Von einer Verbesserung der allgemeinen Standortfaktoren können auch die dort ansässigen Unternehmen der Automobilwirtschaft profitieren, indem sie deren Transformation unterstützen. 

Leistungsfähige Standortfaktoren sind zugleich eine wesentliche Endbericht Automobilnetzwerke in Deutschland Voraussetzung für Neuansiedlungen. Wichtige Faktoren hierbei sind verfügbare Flächen, die Versorgung mit Fachkräften, Hochschulen, eine leistungsfähige digitale Infrastruktur, eine adäquate Verkehrsanbindung und die Anbindung an Innovationsnetze. Diese Standortfaktoren stellen sich vor allem in ländlichen Regionen als vergleichsweise ungünstig dar. Durch das aktuelle Aufleben von Greenfield-Investitionen würden auch gezielte Ansiedlungsstrategien durch die Verbesserungen der Standortvoraussetzungen aktiv unterstützt. 

 

Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Transformation sind gegeben

 

In der Gesamtbetrachtung zeigen sich gute Ausgangsbedingungen für eine erfolgreiche Transformation der Automobilwirtschaft in Deutschland. Während noch rund 260.000 Beschäftigte in Bereichen des verbrennungsmotorischen Antriebsstrangs tätig sind, arbeiten schon heute rund 125.000 Beschäftigte in den drei Chancenfeldern. 

Die Dynamik in der Transformation ist sehr hoch, die Unternehmen investieren in erheblichem Ausmaß, insbesondere auch in die Weiterbildung ihrer Beschäftigten. Das zeitigt Erfolge, wie die Auswertungen der Studie zu den Chancenfeldern und den Neuinvestitionen illustrieren. Vor allem die deutschen OEM und großen Automobilzulieferer gestalten die Transformation intensiv mit und investieren hohe Summen in den automobilen Wandel. Positive Effekte bei den Neuzulassungen von Elektrofahrzeugen sind die Folge. Schon heute rangieren deutsche OEM wie Volkswagen und Daimler weit oben in den deutschen Zulassungsstatistiken für Elektrofahrzeuge. In Norwegen, wo bereits mehr Elektrofahrzeuge als Verbrenner verkauft werden, führten Audi und Volkswagen im Jahr 2020 die Zulassungsstatistiken an. 

Gleichwohl bestehen weitere Herausforderungen für Unternehmen und Regionen mit Blick auf den Bedeutungsverlust des konventionellen Antriebs, vor allem in dreierlei Perspektive. KMU, Unternehmen im Bereich des konventionellen Antriebs und Unternehmen in ländlichen Räumen haben in der Regel geringere Freiheitsgrade und einen größeren Anpassungsdruck auszuhalten. Mithilfe gezielter Maßnahmen – Ideen werden in der vorliegenden Studie diskutiert – erscheint aber auch hier eine erfolgreiche Gestaltung des automobilen Wandels möglich.

 

Auswirkungen auf Gießereien


Die Unternehmen haben durch ihre teils jahrzehntelangen Pfadabhängigkeiten und Spezialisierungen erhebliches Fachwissen aufgebaut, das im Bereich der Verbrennertechnologie in Gefahr gerät, durch die automobile Transformation entwertet zu werden. Dieses (oftmals technologisch versierte) Erfahrungswissen kann durch gezielte Weiterbildung gesichert, verwertet und weiterentwickelt werden. Konkret geht es dabei um Fertigkeiten wie das Gießen von komplexen Strukturen – z. B. von Bauteilen für Verbrennungsmotoren. Gießereien können dieses Wissen transformieren, indem sie mit Blick auf den Guss von Teilen und Komponenten für E-Motoren oder anderen Teilen und Komponenten, die eine steigende Bedeutung durch den automobilen Wandel erfahren, neue Fertigkeiten mit ihrem tiefen Prozesswissen verschränken.

Die gesamte Studie von Ardillo, Antonio / Kempermann, Hanno / Ewald, Johannes / Fritsch, Manuel / Koppel, Oliver / Müller, Benedikt / Potinecke, Thomas / Zink, Benita, 2021, Wirtschaftliche Bedeutung regionaler Automobilnetzwerke in Deutschland, Studie für das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), Köln finden Sie nachfolgend zum Download. 
 

Autor

Antonio Ardillo

Hanno Kempermann

Geschäftsführer IW Consult

Johannes Ewald

Consultant

Manuel Fritsch

Senior Consultant in der IW Consult

Dr. Oliver Koppel

Senior Economist für Innovationen und MINT

Benedikt Müller

Thomas Potinecke

Benita Zink

Data Science Consultant